Spinnerei Komerich
Brand, Komericherer Weg
Walter Buschmann
Spinnerei Komerich in Aachen

Geschichte

Am Standort der späteren Spinnerei Komerich soll es bereits in 16./17. Jahrhundert eine Pachtmühle der Abtei Kornelimünster mit dem Namen Kaltenberger- oder Kaldenberger Mühle gegeben haben. Die Anlage wurde in dieser Zeit als Kupfermühle genutzt. Für die Mühle wurde 1668 eine Pacht von 150 Talem erhoben. Im Zuge der Säkularisation wurde die Anlage 1803 an den Tuchkaufmann Andreas Barschon verkauft. Zu diesem Zeitpunkt bestand Komerich aus zwei Mühlen in einem Gebäude und wurde zum Walken von Tüchern eingesetzt. Nach 1803 muss die Anlage in das Eigentum des bedeutenden Tuchkaufmanns Ernst Conrad Claus (1774-1838) gewechselt sein, denn die Erben Claus verkauften das Anwesen 1838 an den Tuchfabrikanten Arnold Deden. Arnold Deden hatte 1824 das Kreuzherrenkloster in der Pontstraße erworben und betrieb dort mit einer Dampfmaschine Rauh-, Scher- und Spinnmaschinen.

Mit dem Eigentumswechsel von 1838 ist eine detaillierte Darstellung der Wasserkraftanlage verbunden. Sie bestand aus zwei rückschlächtigen Wasserrädern mit einem Durchmesser von fünf Metern.

Ein Lageplan von 1854 zeigt eine zum Walken und Spinnen genutzte Doppelmühle, die über einen Mühlengraben mit Mühlenteich vom Wasser der Inde angetrieben wurde.

Um 1865 übernahmen die Tuchfabrikanten Dechamps & Drouren die Tuchfabrik und bauten die Anlage zu einer Streichgarnspinnerei aus. Erst 1885 wurde die erste Dampfmaschine installiert. Der aus Rearen stammende Spinnmeister Peter Jakob Kutsch erwarb 1893 die Maschinen, gründete die Firma P. J. Kutsch Streichspinnerei Comerich und kaufte 1897 auch die Fabrikgebäude und den Hof Comerich von den Erben Deden und Pelzer. Vermutlich durch Brandstiftung brannte die Fabrik 1901 völlig aus, wurde aber innerhalb von nur drei Monaten wieder aufgebaut. 1906 wurde eine Dampfmaschine der Aachener Firma Mehler aufgestellt. Nach dem Tod von Peter Jakob Kutsch 1907 führte zuerst seine Frau, dann seine beiden Söhne den Betrieb fort. Nach 1926 waren auch die Wasserräder in Funktion, wurden jedoch in diesem Jahr durch eine Turbine ersetzt. Nach Kriegsschäden und Unterbrechung der Produktion 1944-46 wurde erst 1948 der Betrieb wieder voll aufgenommen und die Anlage laufend modernisiert u. a. mit Einbau von zwei Elektromotoren für Krempelei und Selfaktoren in der Spinnerei. 1952 arbeiteten in der Kommanditgesellschaft P. J. Kutsch 40 bis 45 Beschäftigte. 1860 wurde die Produktion eingestellt und 1965 wurde die Anlage verkauft an die Gemeinde Brand.



Die Wasseranlagen

Im Indetal ist unterhalb vorn Krauthausen das ganze System der ursprünglich zum Antrieb der Wasserräder dienenden wasserführenden Anlage noch gut sichtbar. Der Obergraben hat die Länge von ca. 570 Metern. Am Einlauf des Wassers der Inde in den Obergraben wird das Wasser durch ein vermutlich aus Bruchstein gemauertes Streichwehr zu einer Gefällehöhe von ca. 4,3 Meter angestaut. Der Obergraben lässt sich durch ein Schütz zur Inde verschließen. Das in eine Stützmauer aus Naturstein eingebaute Schütz besteht aus zwei Betonständern und einem von diesen Stützen getragenen hölzernen Querbalken. Schütztafel und der Balken für die Zahnstange bestehen ebenfalls aus Holz.

An das Schütz schließt sich der etwa 1,5 bis 2,0 Meter breite Obergraben an, der vor der Spinnerei in einen Stauteich mündet. Dieser Teich wird vor der Spinnereianlage durch eine Natursteinmauer aus Werkstein eingefasst. Teilweise ist die Stauteichmauer auch in Beton ausgeführt. In der Mauer befindet sich ein Rechen, durch den das Wasser zur Turbine geleitet wird. In einem rechtwinklig abzweigenden Teil der Staumauer befindet sich ein Schütz für einen Überlauf. Dieses Schütz wurde in genieteter und geschraubter Stahlkonstruktion gefertigt. Die beiden Schütztafeln aus Stahlblech wurden durch Stahlzahnstangen bewegt. Nach Antrieb der Turbine gelangt das Wasser über einen Untergraben wieder in die Inde zurück.

Ein weiterer, zum Antrieb des zweiten Wasserrades ehemals verwendeter Untergraben ist unter der Shedhalle erhalten.



Der erhaltene Gebäudebestand

Wolferei, Radkammer und Turbine, um 1900/1901/1926

Dicht hinter dem Bürogebäude schließt sich der entstehungsgeschichtlich und funktionale zentrale Bauteil der Gesamtanlage an. Es handelt sich um die schmale Radkammer, in die ursprünglich eins der fünf Meter hohen Wasserräder eingehängt war. Seit 1926 ist in dieser Radkammer die noch erhaltene (aber unzugängliche) Turbine untergebracht.

Neben der Radkammer befindet sich eine zuletzt als Wolferei genutzte Bruchsteinhalle mit Flachdach und darauf aufsitzenden Belichtungsraupen. Das Dach ruht auf einem kräftigen Unterzug aus Holz der von zwei Gusseisensäulen getragen wird. An den Säulen sind Konsolen zur Auflagerung der Transmissionswellen erhalten.

Der Weg der Kraftübertragung ist relativ gut nachvollziehbar. Die Drehbewegung der Turbine wurde auf ein Schwungrad übertragen und gelangte über Transmissionsriemen auf die in die Shedhalle hineinreichenden Wellen. In einem separaten Bereich der Halle steht die Regulierungseinrichtung für die Turbine.

Das Bruchsteinmauerwerk der Wolferei weist noch Spuren auf, die auf die Zeit des Antriebes der Anlage mit Wasserrad zurückreichen. Es handelt sich hier um ein Gebäudeteil, der in der Substanz in die Frühzeit der Anlage, sicher aber in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreicht und durch den Brand von 1901 reduziert wurde.



Bürogebäude und Werkstor, um 1900

Entgegengesetzt zur Führung des energiespendenden Wassers erfolgte der Zugang für die Beschäftigten und Besucher des Werks von Norden durch das neben dem Bürogebäude angeordnete Werkstor. Es besteht aus zwei verputzten Mauerwerkspfeilern, die von Kugeln bekrönt werden. In den Putz sind Scheinfugen für eine Eckquaderung in Zahnschnittfolge eingeritzt. Das zweiflügelige Tor ist in Stahlblech gefertigt.

Das Bürohaus ist ein zweigeschossiger Backsteinbau mit Satteldach und 3:2 Achsen. Im Ziegelmauerwerk sind teilweise Natursteine vermauert. Die stichbogigen Fensteröffnungen mit Holzfenstern erheben sich über Natursteinsohlbänke. Die zum Hof gelegene Traufwand ist im Erdgeschoß verputzt. Die in dieser Traufwand mittig gelegene Hauseingangstür wird über eine dreistufige Freitreppe erschlossen. Hinter der Hauseingangstür erstreckt sich eine einläufige Holztreppe mit Stabgeländer. Teilweise sind die Rahmen der Innentüren erhalten.



Maschinenraum, Kesselhaus, Schornstein, 1885/um 1900

Die Dampfkraftanlage schließt direkt nördlich an das Radhaus an, geht in der Substanz auf die Installation der ersten Dampfmaschine von 1885 zurück, wurde aber nach dem Brand von 1901 weitgehend erneuert. Das Kesselhaus wurde erst nach 1900 angefügt.

Der schmale Dampfmaschinenraum schließt direkt an die Radkammer an. Er wird überdeckt mit einem Flachdach auf Doppel-T-Trägern und zwei mittig angeordneten Belichtungsraupen. Die Dampfmaschine stand auf einer Empore und trieb ein Schwungrad mit einem Durchmesser von 5,0 Meter. Der Auflagerstein für dieses Schwungrad ist in der südlichen Traufwand erhalten. Das Schwungrad war über einen Transmissionsriemen mit einer Welle verbunden, die durch die Wolferei in die Shedhalle hineinreichte.

Parallel neben dem Maschinenraum ist das Kesselhaus angeordnet. Es ist eine Backsteinhalle mit Satteldach und großem, korbbogigem Tor im Giebel. In der Traufwand gab es weitere korbbogige Öffnungen, die heute vermauert sind.

Im Kesselhaus stand ausweislich eines historischen Fotos ein Zweiflammrohrkessel. In das Kesselhaus integriert ist der Kamin. Der Kamin steht auf einem Sockel mit quadratischem Querschnitt. Der eigentliche Kaminschaft ist rund und ist im unteren Bereich am Übergang vom Sockel zum Schaft mit Formziegeln verziert. Der Kamin war ursprünglich 20 Meter hoch und wurde später auf 16 Meter gekürzt.



Shedhalle, 1901

Die dreischiffige Shedhalle diente als Spinnsaal. Die Außenwände sind massiv in Ziegeln gemauert und wurden gegliedert durch Mauerwerksvorlagen mit hufeisenförmigen Eisenankern.
Innenansicht der Shedhalle. Foto: 2007
Die hochliegend angeordneten kleinen Fensteröffnungen sind stichbogig ausgebildet über Sohlbänken aus Naturstein mit kleinteiligen Gusseisenfenstern. Die östliche Außenwand wurde nach dem Krieg erneuert.

Die Innenkonstruktion besteht aus gusseisernen Stützen, an denen Konsolen für die quer durch die Halle reichenden Transmissionswellen montiert waren. Die obere Abdeckplatte der Stützen ist vierpaßartig gearbeitet. Die Dachkonstruktion ist aus Holz gefertigt mit durchlaufenden Dachbalken, auf denen das satteldachförmige Stützwerk auflagert.

Aus der Zeit des Elektroantriebs gibt es in der Shedhalle zwei massive Sockel auf denen sich noch Reste der Elektromotoren befinden. Die Schaltanlage war in einem östlichen Anbau an die Shedhalle untergebracht.



Hofanlage, um 1800

Parallel zur Shedhalle erstreckt sich das Wohn-/Stallgebäude eines landwirtschaftlich genutzten Betriebes. Es ist ein Backsteinbau mit Satteldach. Der vordere, nördliche Teil des Gebäudes ist zweigeschossig ausgebildet mit stichbogigen Öffnungen über Sohlbänken aus Naturstein und Holzsprossenfenstern. Über den beiden Achsen im Giebel sind zwei Halbrundfenster angeordnet. Im hinteren Teil ist das Gebäude als Backsteinhalle ausgebildet mit kleinen Stallfenstern im unteren Bereich und zwei vollständig mit Naturstein eingerahmten Rechteckfenstern in der östlichen Traufseite.

Im Wohnteil sind außer der Hauseingangstür auch mehrere historische Innentüren erhalten. Direkt an den Wohnteil anschließend erstreckt sich ein Gebäudeteil, der mit schweren Gewölbekonstruktionen ausgestattet ist. Sechs Korbbögen, die etwa in Gebäudemitte auf einer stark dimensionierten Trennwand unter dem First auflagern tragen in Fischgratverband gemauerte Kappen. Das Dach des Wohn-/Stallhauses wurde in jüngerer Zeit erneuert.

Zur Hofanlage gehört ein am Nordgiebel ansetzender eingeschossiger Flügelbau in Bruchstein mit Pultdach und ein Backhaus von 1902.



Bedeutung

Die vielfach in der Literatur hervorgehobene hochrangige Bedeutung der Aachener Textilgeschichte beruht auf ihrer langen, bis in die Zeit Karls des Großen zurückreichenden Tradition, ihrer Pionierrolle für den Industrialisierungsprozess in Westdeutschland und der Möglichkeit, nahezu alle Phasen der industriellen und technischen Entwicklung noch an materiellen Zeugnissen anschaulich darstellen und erforschen zu können. Zu den Produktionsanlagen innerhalb der Aachener Stadtmauern gehörten seit mehreren Jahrhunderten immer auch andere Standorte außerhalb der Stadt. Dies betraf insbesondere Einrichtungen zur Wollvorbereitung und zum Walken der Tuche. Das Walken war in vorindustrieller Zeit der einzige Arbeitsschritt für den die Wasserkraft eingesetzt wurde. Es ist insofern von hoher wirtschaftshistorischer Aussagekraft, dass mit der Anlage Komerich ein Standort und in den Grundmauern sicher auch die Substanz eine der historischen Walkmühlen überliefert ist. Nach englischem Vorbild wurde dann seit etwa 1800 die Wasserkraft auch zum Spinnen eingesetzt. Auch Komerich gehörte zeitweise zu diesen wasserbetriebenen Spinnmühlen, wobei die wirtschaftshistorische Bedeutung der Anlage um so höher einzustufen ist, als sie mit den renommierten Tuchkaufleuten Claus und Deden verbunden war.

Als materielle Zeugnisse dieser Entwicklungsphase müssen die in der Beschreibung genannten wasserführenden und wasserregulierenden Anlagen genannt werden, die ganzheitlich zum Denkmal dazugehören. In diese Frühzeit der Anlage muss weiterhin die Radkammer und wohl auch Teile der Hofanlage gerechnet werden. Die schweren Gewölbekonstruktionen im Wohn-/Stallhaus verweisen auf einen industriellen Funktionszusammenhang und sind somit auch aus industriegeschichtlicher Sicht erhaltenswert.

Als relativ neuzeitlicher Gebäudetyp taucht die in den 1830er Jahren in England entwickelte Shedhalle in der Aachener Textilindustrie erst um 1880 auf. Durch die flächenaufwendige Bauweise war dieser Bautyp weniger für das Gebiet innerhalb der Aachener Stadtmauern geeignet und konnte sich erst mit den außerhalb der Stadtmauern sich entwickelnden Industriestandorten durchsetzen. Angesichts der Bedeutung dieser Bauform im Prozess der Industrialisierung sind in Aachen und Umgebung nur vergleichsweise wenig Shedhallen erhalten geblieben, so dass auch die Shedhalle in Komerich als ein wichtiges Zeugnis des Industriebaus verstanden werden muss.

Beeindruckend sind auch die zwar nur rudimentär aber doch in großer Zahl erhaltenen Elemente für das Maschinenantriebssystem von der Turbine bis zu den Transmissionswellen und den Auflagerungsmöglichkeiten dieser Wellen an den Gusseisenstützen. Vor Einführung der Einzelantriebe war der zentrale Maschinenantrieb geradezu charakteristisch für das Fabriksystem. Auch das in Komerich erhaltene Maschinenhaus mit Kesselhaus und Schornstein gehören zu diesem System, das eine wichtige Entwicklungsstufe der Arbeits- und Produktionsverhältnisse darstellt.

Darüber hinaus ist Komerich eines der wenigen Beispiele einer zumindest im baulichen Bereich kompletten kleinen Spinnereianlage der Jahrhundertwende im ländlichen Raum.



Literatur

• Ewald Kraus, Comerich-Geschichte, Typoskript Bürgerverein Brand e.V. 1981
• Brander Mühlen und Gehöfte, in: Heimatblätter des Landkreises Aachen 6, 1938, Heft 3, S. 26
• Wolfgang Schieder, Säkularisation und Mediatisierung in den vier rheinischen Departements 1803-1833, Teil V, 1 ( Arrondissement Aachen), Boppard 1993