Zeche Friedrich Thyssen. Schacht 1 | 6
Duisburg, Duisburger Str. 277 (Grünanlage)




Walter Buschmann
Zeche Friedrich Thyssen. Schacht 6


Nach bescheidenen Anfängen stieß die als Gewerkschaft Deutscher Kaiser gegründete Zeche zur Jahrhundertwende in die gleiche Größenordnung vor wie Rheinpreußen und Zollverein und war 1902 bis 1918 die größte Zeche des Ruhrgebietes. Die nur magere Überlieferung baulicher Zeugnisse vermag auch nicht annähernd die gewaltige Bedeutung dieser Zeche aus der Blütezeit des Ruhrbergbaus darzustellen.


Die Anfänge der Zeche gehen zurück auf Mutungen des ortsansässigen Gutsbesitzers Daniel Morian in den Jahren 1859 bis 1861. Morian plante zur Erschließung seiner acht Grubenfelder (Hamborn I-VIII) den Bau von zwei Tiefbau­anlagen mit je zwei Schächten. Die Wirtschaftskrise und die beim Abteufen zu erwartenden hohen Kosten, verhinderten zunächst die Ausführung der Pläne. Das Beispiel der 1857 ebenfalls im unmittelbaren Nahbereich des Rheines begonnene Zeche Rheinpreußen, die erst nach fast 20 jährigen Abteufarbeiten 1876 in Betrieb genommen werden konnte, dürfte abschreckend gewirkt haben. 1867 wurden die acht Felder zur Gewerkschaft Hamborn (10,6 km2) konsolidiert und unter dem Eindruck des siegreichen Frankreich-Feldzuges und der Reichsgründung 1871 in Deutscher Kaiser umbenannt.

Nahe der im 12. Jahrhundert gegründeten Prämonstratenser-Abtei Hamborn wurde etwa 2 km vom Rhein entfernt, Anfang 1872, also noch vor Fertigstellung der Rheinpreußen-Schächte, mit dem Abteufen des ersten Schachtes begonnen. Zur Durchführung der schwierigen Arbeiten wurden Beamte und Bergleute aus dem Wurmrevier angeworben. Im Senkschachtverfahren mit einem von Ochsen angetriebenen Sackbohrer erreichte man 1874 das Steinkohlengebirge und errichtete die Übertagesanlagen. Die Fördereinrichtung bestand aus einer massiv gemauerten Schachthalle mit aufgesetztem Pyramidengerüst in Stahlkonstruktion. Der Antrieb erfolgte über eine Zwillings-Dampffördermaschine. Die Gestänge-Wasserhaltung wurde von einer direkt am Schacht aufgestellten Balancier-Dampfmaschine betrieben. Zur Schachtanlage gehörten noch ein Kesselhaus mit zwölf Flammrohrkesseln, Grubenventilator, Sieberei und Wäsche. Der Schacht war über eine Anschlußbahn seit 1874 mit dem Bahnhof Neumühl verbunden. Mit Fertigstellung des Hafens Alsum 1882, der an der Mündung der Emscher entstand und ebenfalls an die Zechenbahn angeschlossen war, konnte die Zeche nun auch den Transportvorteil des Rheins nutzen. 1881 wurde mit 470 Mann 99.358 t Kohle gefördert.

In den 1880er Jahren erwarben August und Josef Thyssen nach und nach die Kuxe der Gewerkschaft Deutscher Kaiser. August Thyssen war an einer eigenen Kohlebasis für seine Stahlwerke interessiert und sah in den riesigen Kohlefeldern am Niederrhein, den weiten, nur spärlich besiedelten Flächen und in den Transportmöglichkeiten, die der Rhein bot, die besten Voraussetzungen für eine Expansion seines bisher auf Mülheim beschränkten Unternehmens. 1883 hatte Thyssen 10 Kuxe erworben und gelangte mit Hilfe der beteiligten Banken in den Grubenvorstand. In einer turbulenten Sitzung im großen Saal der Gesellschaft "Haideblümchen" in Oberhausen beschloß der neue Vorstand, die Zeche intensiver zu betreiben als bisher. Bis 1887 hatte Thyssen die Mehrheit der Kuxe erworben, war 1888 Vorsitzender des Grubenvorstandes geworden und konsolidierte 1889 die Felder der Gewerkschaft Deutscher Kaiser mit den Feldern Rheinland, Walsum I-III und Neudüppel zu einer Gesamtgröße von 34,03 km2. Deutscher Kaiser näherte sich damit der Grö­ßenordnung der linksrheinischen Zechen. Thyssen war mit über 80 % Anteil am Bergwerk zur treibenden Kraft geworden und brachte in den folgenden Jahren auch die restlichen Anteile in den Besitz der Familie. Der Ausbau des Bergwerkes verlief nun kongruent mit dem riesigen Eisen-, Stahl- und Walzwerk, das Thyssen seit 1889 nahe Hamborn in Bruckhausen errichten ließ. Die Gewerkschaft Deutscher Kaiser wurde eine der gewaltigsten Hüttenzechen des Ruhrgebietes.



Expansion in die Fläche

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Lageplan der Zeche
Mitte der 1880er Jahre wurde auch auf Druck des Oberbergamtes Dortmund ein weiterer Schacht als zweiter fahrbarer Ausgang und zur Verbesserung der Wetterführung geplant. 1888-96 entstand daraufhin etwa 3 km nördlich des Hamborner Schachtes in Altenrade der Schacht 2 und 1889-95 wurde 3 km westlich in Bruckhausen als Teil des Hochofen-, Stahl- und Walzwerkes der Schacht 3 abgeteuft. Als Abschluß dieser Expansionsphase entstand 1899-1903 in Wittfeld - 1,6 km südlich von Schacht 1 - der Schacht 4. Die Schächte 3 und 4 wurden mit Kokereien ausgestattet und waren damit ausgerichtet auf den Bedarf der Thyssen'schen Hochöfen, von denen 1897 die ersten drei in Bruckhausen in Betrieb genommen wurden. Schacht 4 stand direkt mit der zweiten Thyssen'schen Hochofenanlage in Meiderich in Verbindung, deren erste drei Hochöfen 1904 angeblasen wurden. Mit rund 1,5 Mio t Jahresförderung hatte Deutscher Kaiser noch vor Fertigstellung von Schacht 4 1902 als größte Zeche des Ruhrgebietes die Spitzenstellung im Revier erreicht, die bis 1918 gehalten werden konnte.


Ausbauphase 1901-10

Obwohl die Schächte teilweise untertägig durchschlägig waren (Schächte 1, 3 und 4 waren seit 1902 auf der 3. Sohle miteinander verbunden), reichte dem Oberbergamt dieses Konzept der flächenmäßig doch recht weit auseinanderliegenden Einzelschachtanlagen für eine ausreichende Bewetterung der Grubenbaue nicht aus. Das Oberbergamt forderte den Ausbau der Einzelschachtanlagen zu Doppelschachtanlagen. Daraufhin wurden die vier Schächte im Jahrzehnt nach 1900 um jeweils einen weiteren Schacht ergänzt. Es entstanden 1901-10 der Schacht 5 (Schachtanlage 2/5), 1903-08 Schacht 6 (1/6), 1906-08 Schacht 7 (3/7, und 1908-10 der Schacht Rönsberghof (Wetterschacht für Schacht 4). Wie die Schächte 3 und 4 waren alle Schächte der Ausbauphase mit Dreistrebengerüsten ausgestattet worden. Mit Fertigstellung dieser vier Doppelschachtanlagen war der südliche Teil des Thyssen'schen Felderbesitzes erschlossen. Die Förderung war auf die gewaltige Menge von knapp 4,0 Mio t Kohle gestiegen, die Belegschaft umfaßte 15.745 Mann.

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Karte der Werksbahnen
Zur Ausbauphase gehört auch die Fertigstellung einer weiteren Anschlußbahn zum Güterbahnhof Oberhausen-West (1905) und der Bau des Hafens Schwelgern (1907), der über Gleise mit dem Hafen Alsum und dem Schacht 2 verbunden war.

Eine Besonderheit der Gewerkschaft Deutscher Kaiser waren die gleichzeitig mit den Doppelschachtanlagen entstandenen vier Spülschächte. Im Hinblick auf den nahe gelegenen Rhein und die nur wenige Meter über dem mittleren Wasserspiegel des Stromes liegende Tagesoberfläche im angrenzenden rechtsrheini­schen Bereich hatte die Bergbehörde, um Bodensenkungen soweit wie möglich zu vermeiden vollständigen Bergeversatz angeordnet. Zur Erfüllung der Auflagen entschied man sich für Spülversatz, der mit Sand bereits erfolgreich in Oberschlesien erprobt worden war. Da Sand jedoch nicht zur Verfügung stand, wurde die aus den Hochöfen gewonnene Schlacke fein gemahlen und mit Wasser gemischt in Rohre zum Versatz nach Untertage gefördert. Um den laufenden Schachtbetrieb nicht zu stören, wurden separate Spülschächte abseits der bestehenden Schächte niedergebracht: 1906/07 Ottostraße, 1907-11 Pollmannshof, 1911 Maternastraße, 1914 Lohhof. Später kam noch der Spülschacht Beeckerwerth-Nordost (1920) hinzu.


Zweite Expansionsphase 1910-24

Noch vor Ausbruch des 1. Weltkrieges plante und realisierte Thyssen auch die Erschließung der nördlich angrenzenden Felder. August Thyssen hatte seine Expansionspolitik am Niederrhein konsequent fortgesetzt und sich bis 1920 einen Feld­besitz gesichert, der von Hamborn aus fächerförmig bis Rees reichte und 180 Normalfelder mit einer Fläche von 56.695 ha umfaßte. Man schätzte den Steinkohlenvorrat in diesen Feldern bis in eine Teufe von 1500 m auf 8 Mrd. t Kohle - das entsprach etwa 10 % der gesamten für das Ruhrgebiet geschätzten Steinkohlenvorkommen (83 Mrd. t). Zur Erschließung dieser "nach mensch­lichem Ermessen unerschöpflichen" Vorräte sollten zahlreiche weitere Schachtanlagen entstehen, von denen als selbständige Zechen Wehofen in Duisburg (nicht erhalten) und Lohberg in Dinslaken bis 1913 fertigge­stellt wurden. Die noch zu Deutscher Kaiser gehörenden Schächte Beeckerwerth 1/2 entstanden 1919-22 und 1922-24 (nicht erhalten) und die selbständige Zeche Walsum wurde in den 1930er Jahren fertig gestellt.


Siedlungen

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Karte der Siedlungen
Nur selten ist selbst im Ruhrgebiet das Gesicht einer nur schwach besiedelten, ländlich-bäuerlichen Gegend durch die Ansiedlung und Expansion eines Unternehmens so umfassend und nachhaltig verändert und geprägt worden, wie in Hamborn und Umgebung. Hamborn zählte 1871 gerade 3000 Einwohner und entwickelte sich innerhalb von 40 Jahren mit 103.000 Einwohnern zur Großstadt. Am 2. April 1911 wurden der Bürgermeisterei die Stadtrechte verliehen. Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte der Wohnungsbau für die Bergleute der Gewerkschaft Deutscher Kaiser, deren Zahl von 470 im Jahr 1881 auf ca. 21.000 im Jahr 1922 stieg. Die befriedigende Ansiedlung der besonders aus den deutschsprachigen Gebieten von Österreich - Ungarn herangezogenen Bergarbeiter war eine Existenzfrage der Zeche. In der Ausbauphase nach 1900 wurde mehrfach in den Jahresberichten geklagt, daß der Arbeitermangel sich ungünstig auf die Betriebsergebnisse auswirke.

Die Gewerkschaft Deutscher Kaiser entwickelte ein umfangreiches Wohnungsbau- und Siedlungsprogramm, dessen Anfänge bis in das Jahr 1883 zurückreichen und das bis 1913 zu einem Bestand von 7331 Wohnungen führte. Zu den erhaltenen und denkmalwerten Fragmenten der Schachtanlage 1/6 gehört die Josef-Kolonie (ab 1883), die Oppenkamp'sche Kolonie (Knapp­enstr. etc., ab 1896) und die Kolonie Kampstraße/Goethestraße (ab 1910).


Die 1920er Jahre

Im Zuge der Sozialisierungsbestrebungen entschied man sich nach dem 1. Weltkrieg für eine Trennung von Hütte und Zeche. Die Hütte wurde zukünftig als August-Thyssen-Hütte betrieben, während die Zeche unter Konsolidation der Felder Deutscher Kaiser und Beeckerwerth (28,9 km2) den Namen Friedrich Thyssen erhielt. Neben dem Bau der Doppelschachtanlage Beeckerwerth 1/2 war die Abteufung des Schachtes 8 1922-24 zunächst die wichtigste Maßnahme. Etwa gleichzeitig wurde die Kokerei der Schachtanlage 4/8 teilerneuert und erreichte mit 386 Öfen eine Tagesnormalerzeugung von 3470 t Koks.

Wesentlich anspruchsvoller war die Totalerneuerung der zur Schachtanlage 3/7 gehörende Kokerei. Nachdem 1921 zunächst nur eine Reparatur geplant war, machte Heinrich Koppers den Vorschlag, die Anlage vollständig zu erneuern. Statt der sechs vorhandenen Batterien wurden daraufhin 1922-25 vier neue Batterien mit 260 Großraumöfen gebaut, die eine Leistungskraft von 3.800 tato Koks erreichten. Die Anlage galt als erste Zentralkokerei und wurde ein Vorbild für ähnliche Erneuerungsmaßnahmen dieses Jahrzehnts im Ruhrbergbau.

Bis 1925 war die Förderleistung der Zeche Friedrich Thyssen auf 3,26 Mio t gestiegen.1926 wurde der Thyssen-Bergbau der Vereinigte Stahlwerke AG einverleibt. Entsprechend der generellen Rationalisierungslinie dieses Unternehmens mit dem Ziel, die Förderung auf wenige, leistungskräftige Schächte zu konzentrieren, wurde die Schachtanlage Friedrich Thyssen 2/5 zum Zentralförderschacht ausgebaut. Mit einem neuen Fördergerüst für Schacht 2 und neuer Aufbereitung nach Plänen von Fritz Schupp und Martin Kremmer (nicht erhalten) erhielt die Schachtanlage eine Kapazität von 8-10.000 Tagestonnen. Die Schachtanlagen 1/6, 3/7 und Wehofen 1/2 wurden Außenschächte, was zur Folge hatte, daß zahlreiche Bauten 1926-28 abgerissen wurden.

Nach dem 2. Weltkrieg konnte die Zeche Friedrich Thyssen ihre frühere Bedeutung nicht wieder erreichen. Schacht 4 war 1944 zerstört worden und die Schachtanlage 4/8 wurde 1959 stillgelegt. Beeckerwerth 1/2 folgte 1963. Ihre Bedeutung behaupten konnte die Zentralkokerei, deren Öfen 1955-59 und 1983 erneuert wurden. Nach Aufgabe der Schächte 3/7 wandelte sich aber der Charakter dieser ursprünglichen Zechenkokerei zur Hüttenkokerei. Nachdem 1970 mit 1,735 Mio t Friedrich Thys­sen die Höchstförderung der Nachkriegszeit erreichte, wurde 1976 der Zentralförderschacht 2/5 stillgelegt. Die Übertagebauten der Thyssen-Zechen wurden weitgehend abgebrochen. Vom Tyssen-Bergbau blieben in Duisburg nur einige Bauten der Schachtanlage 3/7, sowie das Fördergerüst von Schacht 6 und die für die August-Tyssen-Hütte in Bruchhausen noch produzierende Zentralkokerei.


Fördergerüst Schacht 6, 1906

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Schachthalle und Fördergerüst in einem historischen Foto
Eingeschossiges deutsches Strebengerüst (Bauart Promnitz 3) in Fachwerkbauweise (Nietkonstruktion) für Doppelförderung mit nebeneinander angeordneten Seilscheiben Höhe bis Seilscheibenbühne 35,0 m. Die drei Streben (Dreistrebengerüst) bestehen aus Ober- und Untergurt mit kreuzweise angeordneten Stäben. Unterhalb der Seilscheibenbühne sind die Streben durch Vollwandträger miteinander verbunden. Die vier erhaltenen Seilscheiben sind geschraubt und genietet und haben Durchmesser von 6,0 m. Die Kranbahn über den Seilscheiben ist erhalten.

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Das erhaltene Fördergerüst von Schacht 6
Das Führungsgerüst ist mit Diagonalstäben (Andreaskreuze) ausgesteift und steht auf Schachtträgern, die unmittelbar unter der Rasenhängebank (h = 1,3 m) angeordnet sind. Die zur Seilscheibenbühne führende Treppe ist umlaufend um das Führungsgerüst angeordnet.

Das Fördergerüst ist berechnet für vieretagige Förderkörbe. Auf jeder Etage konnten zwei Wagen hintereinander angeordnet werden oder alternativ bei Seilfahrt mit jedem Zug 50 Mann ein- oder ausfahren.

Die nicht erhaltene Schachthalle in Stahlfachwerkkonstruktion (Abbruch 1977) hatte zwei Hängebänke, so daß die Wagen gleichzeitig auf zwei Ebenen ein- oder ausfahren konnten. Die zugehörigen Schachttore sind im Führungsgerüst nicht erhalten.

Zum Fördergerüst gehörte ein Fördermaschinenhaus. In der Backsteindoppelhalle (Abbruch 1977 gegen das Votum des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege) standen zwei Elektrofördermaschinen von 1907 (1860 PS) und 1910 (1470 PS) mit Treibscheiben. Bei der älteren Maschine wurde die Treibscheibe von zwei Elektromotoren angetrieben.

Das von der ehemals größten Zeche des Ruhrgebietes einzig verbliebene denkmalwerte Objekt vermag kaum die Bedeutung dieses Bergwerkes zu verdeutlichen. Immerhin zeigt es exemplarisch den auch auf den anderen Thyssen-Schächten 3 bis 8 in der ersten Expansions- und in der Ausbauphase verwendeten Fördergerüsttyp, der durch drei Streben(Dreistrebengerüst) und vier nebeneinanderliegende Seilscheiben gekennzeichnet ist. Das zur Schachtanlage 1/6 gehörende Fördergerüst dokumentiert den Ausgangsort des Tyssen-Bergbaus und einen selten gewordenen Fördergerüsttyp.