Innenhafen | Lehnkeringspeicher
Duisburg, Philosophenweg
Anna Bartolaccio | Giulia Berti | Giuseppe Del Greco
Lehnkeringspeicher im Innenhafen Duisburg


Obgleich heute die noch bestehen den Getreidespeicher von der einstigen Industrialisierung am Innenhafen Zeugnis ablegen, so gilt dennoch einer älteren, wenn auch nicht baulich erhaltenen, so doch nicht minder bedeutenden, Branche eine ebenso große Würdigung: dem Duisburger Holzhandel. Parallel zu der Anwerbung von Holzunternehmen für den Innenhafen werden, nachdem sich die ursprünglichen Pläne zur Umleitung der Ruhrkohlen nicht realisieren lassen, Überlegungen angestellt, den Verkehr im Innenhafen weiterhin zu steigern. Die Direktion des "Rhein-Ruhr-Canal-Aktien-Vereins" ist sich darüber bewusst, dass nur deutliche Anreize Einfluss auf die Standortwahl von Firmen zugunsten des Innenhafens nehmen können. Vor diesem Hintergrund erlässt sie am 25. April 1884 eine Befugnis, nach der am Hafen gelegene Grundstücke unter bestimmten Bedingungen z.B. der Errichtung einer industriellen oder kommerziellen Anlage verkauft werden dürfen. Diese Verkaufsermächtigung weckt das Interesse zahlreicher Getreideunternehmer und -spediteure, die nur durch die Beleihung von eigenem Grund und Boden die enormen Investitionen aufbringen können, die eine notwendig gewordene Modernisierung der Mühlenbetriebe durch den Einsatz der Dampfmaschine und die Errichtung von Speichergebäuden mit hohen Lagerkapazitäten mit sich bringen.

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Der Lehnkeringspeicher in einem Foto von 1925
1870 erstehen die Gebrüder Heuser ein Grundstück am Marientor, Carl Lehnkering, seit 1886 am Zollhafen ansässig, errichtet noch im gleichen Jahr ein Getreidelager am Schwanentor, 1885 erwirbt die Märkische Mühlen AG bzw. Rosiny Mühlen AG die Grundstücke, auf denen heute das Stadtarchiv und das Kultur- und Stadthistorische Museum stehen. 1888 kauft M. Flechtheim eine Grundstücksfläche östlich neben dem Schwanentor und gründet dort 1894 die Rheinisch-Westfälische-Speditions-Gesellschaft, die bis heute am Innenhafen tätig ist.

Ein wichtiger Gedanke, der hinter der Konsolidierung der Getreideindustrie am Innenhafen steht, ist die bessere Versorgung der Region mit diesem Grundnahrungsmittel. Schlechte Ernten und Transportschwierigkeiten führen im 19. Jahrhundert immer wieder zu Versorgungsengpässen. Hauptsächlich das industrialisierte Ruhrgebiet mit seiner stetigen Bevölkerungszunahme ist davon betroffen. Als auch die Umstellung im Getreideanbau von kleinkörnigem deutschen Weizen auf den größeren englischen Weizen keine Abhilfe schafft, entschließt sich Josef Rosiny, Gründer der Märkischen Mühlen AG, bereits 1879, seine Getreideeinkäufe im südlichen Rußland zu tätigen. Duisburg, über die Wasserstraße verbunden mit den wichtigsten Getreide-Exportländern, bietet beste Voraussetzungen und Standortvorteile. So floriert um die Jahrhundertwende am Duisburger Innenhafen die größte Mühlenindustrie Westdeutschlands. Zuerst kommt ausländisches Getreide aus Südrussland, den Balkanländern, dann aus den Donauländern, später aus Nordamerika, Argentinien, Indien und Australien. An der Börsenstraße etabliert sich die renommierte Getreidebörse, an der, nach dem Vorbild der in Deutschland einzigartigen Schifferbörse, sowohl Getreidepreise festgelegt, als auch Ladungen und Transporte organisiert und Verkäufe getätigt werden.

Einen ersten wirtschaftlichen Einschnitt erlebt der Duisburger Getreidemarkt jedoch während und nach dem Ersten Weltkrieg. Der mit der Lebensmittelknappheit verbundene staatlich kontrollierte Mehl- und Getreidehandel steht im Widerspruch zu den Werten der freien Marktwirtschaft. Nunmehr werden Preise festgelegt und der Absatz rationiert. In dieser Zeit können die Mühlenbetriebe nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Dringende Investitionen können nicht mehr getätigt werden, obgleich die Versorgung der Bevölkerung unter allen Umständen aufrecht erhalten werden muss. Auch reißen Feuersbrünste - hervorgerufen u.a. durch Staubexplosionen – immer wieder große Lücken in die Silo-Skyline des Innenhafens und bedrohen durch ihre unmittelbare Nähe zur City ständig die Innenstadt. So fällt 1913 der alte 6-stöckige Lehnkeringspeicher dem Feuer zum Opfer, 1933 geht der Speicher der Rheinisch-Westfälischen Speditionsgesellschaft, vormals Flechtheim, in Flammen auf. Großen Einfluss auf die Stadt hat 1929 der Brand des Mühlengebäudes der Firma Koch & Co am Schwanentor, das unmittelbar an die Altstadt grenzt. Nach dem Großbrand, der bis zum Rathaus vorzudringen droht, verweigert die Stadt aus Sicherheitsgründen den Wiederaufbau und denkt über Pläne nach, hier eine Uferpromenade in Form einer Hafenallee entstehen zu lassen.

Erst in der Mitte der 1930er Jahre, nach der allgemeinen Rezession, wird auch ein Aufschwung der Getreideindustrie deutlich spürbar. Dies schlägt sich in einem regelrechten Bauboom am Innenhafen nieder. 1933 errichtet die Firma Koch & Co einen 7-geschossigen Schüttbodenspeicher, 1938 einen kleineren giebelständigen Silo.

1935 erregen die Werner & Nicola Mühlenwerke mit ihrem röhrenförmigen, aus Stahlblechen zusammengenieteten Silo, einem weltweiten Novum, Aufsehen und 1936 macht der 7-geschossige Stahlbetonspeicher der Rheinisch-Westfälischen-Speditions-Gesellschaft Schlagzeilen. 1937 entsteht der 10-geschossige Silo der Allgemeinen Speditionsgesellschaft und neben der heutigen Küppersmühle errichten die Rheinischen Mühlenwerke Werhahn, 1938 ein 11-geschossiges Silogebäude. 1939 wird ebenfalls die Märkische Mühlen AG um einen Silo erweitert. Der Zweite Weltkrieg überschattet indes diese Entwicklung und setzt hier ein abruptes Ende. Die Verwüstungen am Innenhafen zeugen von einem totalen Zusammenbruch.


Die Nachkriegszeit

Der Duisburg-Ruhrorter Hafen ist Ziel zahlreicher Luftangriffe, infolge derer nicht nur die Speicher- und Mühlengebäude erheblichen Schaden nehmen, sondern auch die aus dem Jahr 1904 stammende Klappbrücke am Schwanentor völlig zerstört wird. Allein das am Holzhafen ansässige Taucher- und Sprengunternehmen Dahmen befördert in den Nachkriegsjahren über 100 Schiffwracks vom Grund des Hafens an die Oberfläche.

Enorme Investitionen werden für den Wiederaufbau benötigt. Die Militärregierung setzt sich nach dem Krieg verstärkt dafür ein, dass die Getreidespeicher und Mühlengebäude unverzüglich wiederaufgebaut und in Betrieb genommen werden. An die Mühlenbesitzer ergeht offiziell die Weisung, für die größtmögliche Lagerung in kürzester Zeit Sorge zu tragen, gilt es doch wiederum, von Duisburg aus, das Hinterland mit den nötigen Grundnahrungsmitteln zu versorgen. lm Zuge dieses Wiederaufbaus errichtet die Allgemeine Speditionsgesellschaft 1950 einen giebelständigen kleinen und 1954 einen viereinhalb-geschossigen Speicher. 1956 errichtet Werner & Nicola den 1994 gesprengten Stahlbetonsilo Mr. Softy und 1959 entsteht ein 5-stöckiger Mühlen- und Speicherkomplex der Duisburger Mühlen AG am Schwanentor (vormals Rosiny Mühlen AG, heute Stadtarchiv und Kultur- und Stadthistorisches Museum).

Bis in die 1950er Jahre expandiert die Mühlen- und Getreideindustrie am Innenhafen. Jedoch im Zuge fortschrittlicher Fertigungstechniken und besserer Transportmöglichkeiten über die Straße verliert der Wasserstandort Innenhafen zunehmend an Bedeutung. Die hier vorhandenen Lagerkapazitäten in den Speichergebäuden und Silos sind nicht mehr notwendig und können nicht mehr ausgenutzt werden. Die Mühlenbranche sieht sich gezwungen entsprechend gegen zu wirken. Die Lagerung von Stückgütern nimmt zu. Rationalisierungen im Fertigungsprozess und Modernisierungen der Anlagen führen darüber hinaus zu Firmenfusionen, um so überhaupt noch auf dem Markt bestehen zu können.

Lehnkering Speicher

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Modellfoto
Zwischen 1993 und 1995 wurde das Gebäude umgewidmet für Büronutzung. Die Fassade zum Fluss hat ihr ursprüngliches Aussehen erhalten, während die landseitige sehr modern gestaltet ist. Der Hof ist durch ein Glasdach eingehaust.

lm Kontorhaus sind die alte Geometrie der Konstruktion und die Fassadenaufteilung beibehalten worden. Die wichtigste Änderung wurde durch die Entkernung entlang der Hauptachse des Gebäudes vorgenommen, die beiden Dachflächen sind quer durchschnitten und bilden so einen Freiraum, der von einem Glasdach überdacht ist. Der Eingriff ist deutlich erkennbar, da für ihn neue Techniken und Materialen verwendet wurden die nichts mit dem alten Charakter des Gebäudes gemein haben. Ein großes außenliegendes Volumen, dessen Form auf die antiken Silos zurückzuführen ist, bildet einen Bruch in der Symmetrie und enthält eine Treppe zur vertikalen Erschließung, die vielleicht im Bestand nicht möglich gewesen wären.


(Auszug aus der Studienarbeit im Lehrgebiet Denkmalpflege RWTH Aachen vom SS 2004.)