Zeche Zollverein | Geschichte und Gesamtanlage
Essen, Katernberg | Stoppenberg | Schonnebeck







Walter Buschmann
Zeche Zollverein |Geschichte und Gesamtanlage


Geschichte des Bergwerks Zollverein

Nicht lange nachdem Franz Haniel 1834 und 1837 mit den Zechen Franz und Kronprinz im Nordwesten der Stadt Essen den Nachweis erbracht hatte, dass die mächtige Mergeldecke, die hier über dem Karbon lagerte, mit den technischen Mitteln jener Zeit zu durchstoßen war, begann um 1840 in den nordöstlich vor Essen liegenden Gemeinden die Suche nach dem schwarzen Gold. Franz Haniel wurde auch hier zur zentralen Figur der Bergbaugeschichte.
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Historische Karte der Zeche Zollverein mit Grubenfeld
Nachdem es zuerst Schürfberechtigungen für örtliche Außenseiter gegeben hatte - überliefert sind die Berechtigungen für die Bäcker Hermann Schlieper und Schreinermeister Rieck aus Essen - gründete Haniel am 20.6.1840 mit guten Freunden und Bekannten sowie seinen Kindern eine Bohrgesellschaft, erwarb die beiden bisher verliehenen Mutungsrechte und legte Mutung ein auf zwölf weitere Felder, die einen geschlossenen Distrikt in den fünf Gemeinden Schonnebeck, Stoppenberg, Katernberg, Rotthausen und Altenessen bildeten. 1845 gelang es Carl Linden, einem Beteiligten an der Bohrgesellschaft, in 60 Lachter ( = ca. 120 m) Teufe ein 52 Zoll starkes Flöz zu erbohren. Dieses Flöz erhielt den Namen "Zollverein".

Im Januar 1847 wurden die 14 Mutungen konsolidiert. Noch im gleichen Jahr kaufte Haniel die Anteile seiner beteiligten Mitstreiter, behielt selbst 76 Kuxe der 128-teiligen Gewerkschaft und verteilte die übrigen Kuxe an seine Kinder. Das Projekt Zollverein war zu einem reinen Familienunternehmen geworden und blieb es bis 1920. Das Motiv für das Engagement Haniels war deutlich von der Sicherung einer Kohlebasis seiner eisenerzeugenden und -verarbeitenden Betriebe in Oberhausen geprägt. In einem Schreiben an Berghauptmann von Beust formulierte er schon 1845 den Gedanken einer Hüttenzeche: "Die Ausdehnung unserer Eisenwerke macht aber den Besitz eigener Kohlefelder, wie dies in Belgien und England bei fast allen größeren Eisenwerken der Fall ist, auch für uns zu einem lebhaften Bedürfnis, weshalb ich seit einiger Zeit beschäftigt bin, jetzt, nachdem vielfach geognostische Aufschlüsse erlangt sind, mit größerer Wahrscheinlichkeit guten Erfolgs in der Nähe der Köln-Mindener Bahn bei Essen einen neuen Betrieb durch Bohrarbeiten vorzubereiten, und war glücklich, ein fettes Flöz anzubohren."(Spethmann 1947, S. 44f) Entgegen der sonst üblichen Praxis erhielt Haniel vom Bergamt die Genehmigung für alle 14 Mutungsfelder nur eine Schachtanlage abteufen zu müssen. Haniel hatte offensichtlich auf eine derart kostensparende Konzession hingearbeitet, denn die Felder waren so geschnitten, dass sie wie Tortenstücke mit ihren Spitzen auf einen Punkt zeigten, der etwa 500 m westlich vom Dorf Katernberg und 300 m südlich der Köln-Mindener Bahn lag. Es drängte sich geradezu auf, die nach Bergrecht erforderliche Entblößung der Flöze von nur einem Schacht aus vorzunehmen. Die Wahl des Schachtansatzpunktes war mit Rücksicht auf den Kohlenabsatz möglichst nahe an die Bahnlinie gelegt worden und zugleich an einen Punkt, an dem man hoffte, mit dem Schacht das Tiefste der Stoppenberger Mulde zu erreichen. 1851 übergab der inzwischen 72 jährige Franz Haniel die Leitung der Zeche an seinen ältesten Sohn Hugo Haniel (1810-1893), der sich auch um die Entwicklung der Zeche Rheinpreußen verdient machte. Die Verleihungen der 14 Felder erfolgten überwiegend in den Jahren 1851-53. 1858 wurden die Felder konsolidiert. Die Berechtsame betrugen (1886) 13,8 km². Zollverein hatte damit etwa die gleiche Größenordnung wie der benachbarte Cölner Bergwerks-Verein mit 16,6 km oder wie Anna, die größte Grube des Aachener Reviers mit 14,9 km².

Das neue Bergwerk im Essener Nordosten erhielt den Namen Zollverein, wurde also benannt nach dem Deutschen Zoll- und Handelsverein, der 1834 unter preußischer Hegemonie entstanden und in den folgenden Jahrzehnten ständig ausgedehnt worden war. Angesichts der politischen Zeitumstände mit den sich gerade in der gescheiterten Revolution von 1848/49 offenbarenden Tendenzen zur Gründung eines deutschen Nationalstaates, war diese Namensgebung eine Demonstration der auf wirtschaftliche und politische Einheit drängenden Hoffnungen des fortschrittlichen Bürgertums.


Ausbauphasen

Die folgenden Jahrzehnte brachten mit dem Bau von drei neuen Doppelschachtanlagen einschneidende Veränderungen in die Verhältnisse der Zeche Zollverein. Diese Ausbauphase begann 1880 mit den Abteufarbeiten für Schacht 3 und endete gegen 1914 mit Fertigstellung des neuen Verwaltungsgebäudes an der Zugangsstraße zur Schachtanlage 1/2. Wesentlichen Anteil an den Planungen in diesen Jahrzehnten hatte der Ingenieur Dreyer. Die Schachtanlagen 3/7, 4/5 und 6/9 sind in baulicher und technischer Hinsicht nach den Plänen Dreyers entstanden. Dreyer wurde etwa zur Jahrhundertwende abgelöst durch den Architekten Stolze, der wesentlich den zu dieser Entwicklungsphase gehörenden Umbau der Schachtanlage 1/2 plante.

Ausgelöst wurde die Bautätigkeit durch die Ausdehnung der untertägigen Grubenbaue, die sich im Osten bereits bis unter den benachbarten Stadtteil Schonnebeck erstreckten. Der Bau einer neuen Schachtanlage, und zwar als Außenschacht in deutlicher Entfernung zu den Gründungsschächten, sollte eine Verbesserung der Wetterverhältnisse bringen und die als zu lang erachteten Förderwege aus dem südöstlichen Feldteil zukünftig vermeiden helfen. Zunächst als Einzelschachtanlage geplant und 1880-1882 mit Abteufung von Schacht 3 bis zur 3. Sohle ausgeführt (1890 bis zur 6.und 7. Sohle weitergeteuft), entschied man sich wegen der problematischen Wetterverhältnisse untertage, den Schacht 3 mit dem 1897-1899 entstandenen Schacht 7 zur Doppelschachtanlage auszubauen.

Zur Ausnutzung der zu Beginn der 1890er Jahre sich abzeichnenden günstigen Konjunktur wurde 1891 der Entschluss zum Bau einer weiteren neuen Schachtanlage im nördlichen Feldesteil gefasst. Um eine einwandfreie Wetterführung zu erzielen, war sie von vornherein als Doppelschachtanlage mit Wetter- und Förderschacht geplant. Der Schacht 4 wurde 1891-1894 bis zur 4. Sohle niedergebracht und mit einem Fördergerüst Bauart Promnitz ausgestattet. Schacht 5 entstand 1894-1896 (bis 3. Sohle) und wurde als reiner Wetterschacht genutzt. Die Bauten der Übertageanlage waren (einschließlich des Fördergerüstes) nach dem 1892 vorgelegten Entwurf des Ingenieurs Dreyer entstanden.

Im südwestlichen Feldesteil entstanden ab 1895 die Schächte 6 und 9 als vierte Schachtanlage. Zunächst war sie, ohne eigene Aufbereitung und Kokerei, als eine Nebenanlage mit Seilbahn zur Verbindung mit den Schächten 1/2 gedacht. Der Schacht 6 wurde 1895-1897 bis zur 3. Sohle abgeteuft und mit einem bemerkenswerten Fördergerüst versehen: Nach einem Plan von Dreyer entstand über diesem Schacht 1896 ein Doppelstrebengerüst in Fachwerkbauweise. Zur Verbesserung der Wetterverhältnisse wurde auch Schacht 6 um den Wetterschacht 9 ergänzt, der 1903-1905 bis zur 3. Sohle in Betrieb war. Mit dem Ausbau der Schächte 6/9 zur selbständigen Förderanlage erhielt der Schacht 9 erst 1914 ein Fördergerüst und eine im Jahr zuvor angefertigte Dampffördermaschine.

Die Jahre um die Jahrhundertwende zwischen 1899 und 1906 waren geprägt durch Erneuerung und Ausbau der Gründungsschachtanlage. Da auch die Außenschachtanlagen offenbar nicht die Erwartungen für eine Verbesserung der Bewetterung der alten Grubenbaue erfüllten, wurde im räumlich-funktionalen Zusammenhang der Schächte 1 und 2 1899-1902 der Schacht 8 abgeteuft mit Anschluss an die beiden beim Schacht 2 stehenden Ventilatoren. Der Schacht blieb ohne Fördergerüst. Die Anlagen zur Aufbereitung wurden erneuert und zwar 1901/02 durch Bau einer Fettkohlenwäsche, die 1904 durch eine Gasflammkohlenwäsche ergänzt wurde. Die umfangreichste bauliche Maßnahme betraf 1903 den Schacht 1 mit Abbruch des Malakowturmes und Errichtung eines Fördergerüstes mit Schachthalle, Sieberei und Verladung, Fördermaschinenhaus und neuer Dampffördermaschine. Gleichzeitig entstand die Maschinenhalle mit Dampfturbine, Kompressor und einem Lüfter, der den alten Guibal-Ventilator von Schacht 2 ersetzte. 1906/07 folgte der Bau einer neuen Kaue für 3000 Mann und des Verwaltungsgebäudes. Parallel dazu wurde die Kokerei erweitert und eine Nebenproduktanlage in Betrieb genommen.

In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurde die Schachtanlage 3/7 ergänzt um den neuen Hauptförderschacht 10. Der Beschluss zum Bau dieses Schachtes fiel bereits 1907. Nachdem Schacht 3 1908/09 bis auf Sohle 12 (= 659 m) abgeteuft worden war, wurde Schacht 10 1911-1914 auf gleiche Teufe gebracht und mit Fördergerüst, Fördermaschine, Sieberei und Verladung ausgestattet. Eine große Kokerei (120 Öfen) mit Nebenproduktanlage und Gasmaschinenzentrale entstand nördlich der Schachtanlage 3/7/10. Mit Fertigstellung von Schacht 3 wuchs die Förderleistung von Zollverein beträchtlich von gut 400.000 Tonnen im Jahr 1880 auf 663.803 Tonnen im Jahr 1885. Zollverein errang 1888 die Spitzenposition im Revier, förderte 1890 erstmals über 1 Mio Tonnen Kohle und konnte die Leistung vor dem 1. Weltkrieg (1910) noch auf 1,8 Mio Tonnen Kohle steigern. Nur die Zechen Gewerkschaft Deutscher Kaiser (Duisburg), seit 1901 größte Zeche des Ruhrgebietes, und Rheinpreußen (in Duisburg und Moers) waren im Rheinland leistungsstärker als Zollverein. Mit seinen vier Schachtanlagen war Zollverein eines der großen und bedeutenden Bergwerke des Reviers.


Verbindungsbahnen

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Historische Karte der Verbindungsbahnen
Mit Entstehung und Ausbau der vier Schachtanlagen erstreckte sich die Zeche Zollverein auch im übertägigen Bereich nun über die drei Gemeinden Katernberg, Stoppenberg und Schonnebeck. Ein Netz von Zechenbahnen vermittelte zwischen den Schachtanlagen. Schon 1879/80 entstand die Verbindungsbahn zwischen den Schächten 1/2 und 3. Sie wurde 1898 (Anlage Schacht 7) erneuert und 1912 (Schacht 10) mit zwei neuen Brücken ausgestattet. Ebenfalls direkt mit der nördlichen Schachtanlage 4/5 wurde 1891 eine Zechenbahn zu den Schächten 1/2 angelegt. Die südwestlich gelegene Schachtanlage 6/9 war zunächst nur über eine Seilbahn mit den Gründungsschächten verbunden und erhielt erst 1913/14 einen Gleisanschluss. Das Bahnnetz wurde nach dem 1. Weltkrieg komplettiert durch Gleise zum Hafen Nordstern am Rhein-Herne-Kanal 1924-1926 und eine Verbindungsbahn zwischen den Zechen Bonifacius und Zollverein 1934. Die Bedeutung der Transporteinrichtungen ergibt sich auch aus dem Bau eines Lokomotivschuppens 1921 nahe der Gründungsschächte mit Stellplätzen für sieben Lokomotiven.


Siedlungen

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Historische Karte der Siedlungen von 1904
Der gewaltige Ausbau der Zeche Zollverein dokumentiert sich auch in der Entwicklung der Belegschafts- und Förderzahlen. Die Produktion der Zeche stieg von ca. 1 Million Tonnen im Jahr 1890 auf circa 2,3 Millionen Tonnen im Jahr 1913 und die Belegschaft wuchs im gleichen Zeitraum von ca. 2000 Mann auf 6526. Zur Unterbringung der Bergleute waren schon vor der Ausbauphase Siedlungen entstanden, die um 1900 energisch weiterentwickelt wurden. Bis 1914 waren 543 Arbeiter- und Beamtenhäuser, sechs zecheneigene Verkaufsstellen, sowie ein Zentralwarenlagerhaus entstanden. Die größten Kolonien waren Hegemannshof, Ottekampshof, sowie die parallel zum Schacht 3 entstandene Kolonie III. Wie die Zechenbauten waren auch die Arbeiterhäuser nach Entwürfen von Ingenieur Dreyer und Architekt Stolze aus dem Baubüro der Zeche entstanden.


Interessensgemeinschaft Zollverein – Phoenix

War schon in den vergangenen Jahrzehnten die enge Verknüpfung eines Bergwerkes von der Größenordnung der Zeche Zollverein an eine Familie, nämlich die Familie Haniel, anachronistisch gewesen, drängten die Umstände der Zeit nach 1918 zu einer Änderung in den Eigentumsverhältnissen. Die gerade auf den Bergbau abzielenden Sozialisierungsbestrebungen in der Frühzeit der Weimarer Republik veranlasste die Eigentümerfamilie zur Suche nach einem Partner in einem anderen Industriezweig. Die Verknüpfung mit einem Unternehmen der Stahlindustrie, deren Energiegrundlage die Kohle war, lag auf der Hand. Da gleichzeitig die Firma Phoenix AG für Bergbau- und Hüttenbetrieb auf der Suche nach einem Bergwerk war und in ihren Versuchen zur Verbreiterung der eigenen Kohlenbasis bisher erfolglos geblieben war, bot sich eine Verbindung zwischen Zollverein und Phoenix an. Zollverein war an einer solchen Verbindung interessiert, weil man hoffte, der drohenden Sozialisierung einer reinen Kohlenzeche in einem gemischten Konzern zu entgehen, gab damit aber eine eigenständige Geschäftsführung auf. Diese ging allein in die Hände der Phoenix, allerdings mit deren Verpflichtung, das Bergwerk ordnungsgemäß zu betreiben, auszustatten und zu erhalten. Abgesehen von dem gerade vor Kriegsausbruch in Betrieb genommenen Schacht 10 waren viele Anlagen der Zeche durch die starke Inanspruchnahme während des Krieges und wegen unterbliebener Instandsetzungs- und Erneuerungsmaßnahmen nicht mehr in einem zeitgemäßen Zustand. Das galt besonders für Aufbereitung, Dampf-, Druckluft- und Stromerzeugung. Besonders erneuerungsbedürftig waren die Anlagen von Schacht 4/5. Seit 1922 wurde hier ein neuer Förderschacht (als Schacht 11) abgeteuft, und 1926 bis zur 5. Sohle fertig gestellt. Die zugehörigen Übertageanlagen: Schachtgerüst, Schachthalle, Sieberei und Verladung sowie das Fördermaschinenhaus mit zwei Dampffördermaschinen entstanden erst 1927, und die Aufnahme der Förderung konnte erst 1928 erfolgen. Die Schachtanlage wurde 1927/1928 mit einem großen Büro-, Kauen- und Magazingebäude ausgestattet.

Gleichzeitig mit der Anlage von Schacht 11 erhielt die noch aus der Gründungszeit stammende Förderanlage von Schacht 2 neue Tagesanlagen. Der Malakowturm wurde abgebrochen und 1922-1924 ein zweigeschossiges Strebengerüst mit Fördermaschinenhaus erbaut. Auch der Schacht 8 erhielt 1926 ein kleines Fördergerüst für Revisionszwecke und Reparaturmaßnahmen am Schacht. Der Bau eines Hauptmagazins stärkte die zentrale Bedeutung der Gründungsschachtanlage.

Für die Schachtanlage 3/7/10 erwarb man in der Phoenix-Zeit die zweite Fördermaschine für Schacht 10 und die Übertageanlagen wurden ergänzt durch neue Werkstätten und eine fast vollständig erneuerte Kaue.


Zentralschachtanlage 12

Mit Gründung der Vereinigte Stahlwerke AG 1926, dem größten montan-industriellen Komplex Europas in den 1920er Jahren, machten die Gewerke von Zollverein von ihrem Recht auf Umtausch ihrer Zollverein-Anteile in Phoenix-Aktien Gebrauch. Phoenix und damit Zollverein, wurden Bestandteil der Vereinigte Stahlwerke AG. Zollverein gehörte zur Bergwerksgruppe Gelsenkirchen, die geleitet wurde von Friedrich Wilhelm Schulze Buxloh. Vorstandsvorsitzender der Vereinigte Stahlwerke AG war Albert Vögler.
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Luftbild der Schachtanlage 12 um 2003
Die für das ganze Unternehmen ausgearbeiteten Rationalisierungsprogramme verlangten die Schließung der kleinen und unrentablen Schachtanlagen und die Konzentration von Förderung und Verarbeitung auf leistungsstarke Betriebspunkte. Für Zollverein wurden zunächst die Aufbereitungsanlagen und die Drucklufterzeugung untersucht mit dem Ergebnis, dass eine Teilerneuerung hohe Kosten und kein optimales Ergebnis geliefert hätte. Obwohl Schacht 11 gerade erst vor der Fertigstellung stand, fiel die Entscheidung für eine völlig neue Schachtanlage (Schacht 12) an einem neuen Standort. Ausschlaggebend war die nur so erzielbare Rationalisierung mehrerer Funktionen zentral für die ganze Zeche. Der Schacht 12 wurde für die enorm hohe Förderleistung von 12.000 Tagestonnen konzipiert. Die Aufbereitung musste eine entsprechende Durchsatzleistung haben. Am Zentralschacht sollte ebenfalls die Drucklufterzeugung, Stromverteilung und die Werkstätten konzentriert werden.

Mit dem Bau der Anlage wurden die damals schon renommierten Industriearchitekten Fritz Schupp und Martin Kremmer beauftragt. Beide hatten zuvor schon Zechenbauten geplant, unter anderem für die unter der Leitung von Schulze Buxloh stehenden Phoenix-Zechen. Die 1928-1932 entstandene Schachtanlage Zollverein 12 war ein Höhepunkt im Werk der Architekten Schupp und Kremmer. Die Schachtanlage wurde nach dem Vorstandsvorsitzenden des auftraggebenden Unternehmens Albert Vögler benannt. Zollverein war erneut mit Betrieb von Schacht 12 zur größten Zeche des Ruhrgebiets geworden (1932 und 1934-1949). 1935 lag die Förderleistung mit 6057 Bergleuten erstmals über 3,0 Millionen Tonnen und 1937 erzielte man eine maximale Förderung von 3,588 Millionen Tonnen Kohle.


Ausbau der Zeche Zollverein nach dem 2. Weltkrieg

Nachdem Zollverein 1945 immer noch beachtliche 868.937 Tonnen Kohle mit 5046 Bergleuten gefördert hatte, stieg die Leistung bis 1950 wieder auf über 2,275 Millionen Tonnen und erreichte 1955 2,6 Millionen Tonnen mit 8074 Mann. Ende der 1950er Jahre entwickelte sich der Zollvereinkomplex zu eine der größten Bauplätze des Ruhrgebietes in der Nachkriegszeit. Ausschlaggebend war das Ziel, die Koksproduktion der Zeche gewaltig zu steigern und die Förderleistung von Schacht 12 durch Umstellung von Wagen- auf Gefäßförderung zu verbessern. Nur so konnte es gelingen, bei wachsendem Bergeanteil die Produktivität der Anlage beizubehalten. Um den Ausbau der Schachtanlage 12 zu ermöglichen, wurde zuerst Schacht 1 zur Entlastung von 12 in den Jahren 1956-1958 erneuert. Der Schacht wurde von der 6. bis zur 12. Sohle niedergebracht und erhielt ein neues Fördergerüst mit Schachthalle und Wagenumlauf. Der Umbau von Zollverein 12 erfolgte 1957/58 durchgeführt. Gleichzeitig wurde mit dem Bau der Kokerei Zollverein begonnen und damit bis 1960/61 ein Projekt verwirklicht, das aus der Entstehungszeit des Zentralschachtes 12 stammt. Die letzte große Baumaßnahme wurde 1964-1966 für die Zollverein-Schächte durchgeführt, als der Schacht 2 einen neuen Förderturm mit zugehöriger Schachthalle und Wagenumlauf erhielt. 1966 erreichte man am Schacht 2 die 14. Sohle (= 1005 m) angesetzt und bis 1972 waren auch die Schächte 10 und 12 auf diese Teufe gebracht worden. Obwohl die Zeche bis ins 21. Jahrhundert hinein betrieben werden sollte, zwangen die Rationalisierungsmaßnahmen der Ruhrkohle AG zur Stilllegung am 23.12.1986. Mit der Kokerei war in Essen die letzte größere montanindustrielle Anlage in Betrieb. Sie wurde im Juni 1993 stillgelegt.


Bedeutung

Zollverein gehört mit seiner weit zurückreichenden Entstehungsgeschichte zu den in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Mergelschachtanlagen und zählte zu den herausragenden montanindustriellen Unternehmungen des für die Industriegeschichte des Ruhrgebietes so wichtigen Franz Haniel. Dieser Bedeutungsaspekt ist in den über den Gründungsschächten errichteten Nachfolgebauten überliefert.

Die Entwicklung des Bergwerkes zu einer Großanlage mit einer untertägigen Ausdehnung über mehrere Gemeinden hinweg, wird durch die rudimentär erhaltene Schachtanlage 3/7/10 dokumentiert. Kennzeichen dieser Entwicklung sind auch die noch existierenden Verbindungsbahnen und Zechensiedlungen. Überragende Bedeutung erhält der Zollverein-Komplex durch die Zentralschachtanlage 12. Sie ist in ihrer Gesamtheit eine technisch-architektonische Spitzenleistung der 1920er Jahre und gilt als Hauptwerk der Industriearchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Wesentliche Bedeutung haben die Umbau- und Ergänzungsbaumaßnahmen aus den 1950er und 1960er Jahren. Unter Beibehaltung der alten Hüllen wurde dadurch der Schacht 12 dem neuzeitlichen technischen Standard angepasst, ohne dass die Spuren der alten Fördertechnik (Wagenförderung) vollständig verloren gingen. Die Bauten auf Zollverein 1/2/8 sind Bestandteile der Ausbauphase nach dem Krieg. Seit ihrer Fertigstellung gehören auf engem Raum drei bau- und technikgeschichtliche Typen von Förderanlagen zum Erscheinungsbild der Zeche: Doppelstrebengerüst, Einstrebengerüst und Förderturm. Erst die erhalten gebliebenen Sozialeinrichtungen auf Zollverein 1/2/8 mit Verwaltung, Kaue und Seilfahrtseinrichtungen am Schacht, ergänzen das technik- und baugeschichtliche Denkmal von Weltrang im übertägigen Bereich zu einem ganzheitlichen Bergwerk.

Dieser Bedeutungsaspekt als Teil einer denkmalwerten Gesamtheit gilt auch für die Kokerei Zollverein. Die Erhaltung eines vollständigen bergbaulichen Funktionskomplexes auf engstem Raum, ist ein historischer Glücksfall, der in dieser Art an keiner anderen Stelle im deutschen Steinkohlenbergbau noch nachvollziehbar wäre. Die für die Kokerei Zollverein realisierte technische Meisterschaft, die zugleich auf die wirtschaftliche Leistungskraft Westdeutschlands und den hohen Stand des Ruhrbergbaus in der Nachkriegszeit verweist, sowie die baukünstlerische Perfektion in der Gestaltung, verleihen diesem Denkmal über den Ensemblegedanken hinaus einen hohen Eigenwert.

Der Zollverein-Komplex in Essen ist in Technik und Architektur ein überragendes Denkmal der klassischen Moderne.


Literatur

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