Kessel- und Maschinenfabrik Steinmüller
Gummersbach
Walter Buschmann
Röhrendampfkessel- und Maschinenfabrik L. & C. Steinmüller


Geschichte

Die Firma Steinmüller in Gummersbach nimmt für sich zu Recht in Anspruch, an der Einführung und Entwicklung des modernen Dampfkessels in Deutschland entscheidend beteiligt gewesen zu sein. Diese technik- und industriegeschichtliche Bedeutung des Unternehmens wird insbesondere durch Präsentation des ersten Steinmüller-Kessels von 1874 im Deutschen Museum in München deutlich.

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Schaublid, Briefkopf von 1911
Hervorgegangen ist das Unternehmen aus der durch den in Gummersbach tätigen Musiklehrer Peter Wilhelm Eberhard Steinmüller 1855 gegründeten, anfangs bescheidenen aber nach Eintritt der Söhne Carl und Leberecht 1866 bedeutender werdende Papierfabrik. 1871 waren in dem Betrieb 32 Erwachsene und 5 Jugendliche beschäftigt. Zu der kleinen Fabrik gehörte eine Schlosserwerkstatt. Leberecht Steinmüller hatte in dieser Werkstatt zusammen mit einem tüchtigen Facharbeiter nach eigenen Ideen mehrere Maschinen für die Papierfabrik gebaut.

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Straßenlokomotive. Foto: 2004
Als wesentliche Anregung zum Kesselbau gilt eine 1872 bei Charles Burell im englischen Thetford erworbene und ständigen Ärger bereitende Straßenlokomotive. Diese Maschine sollte zum Transport von Waren von Gummersbach zu den nächst gelegenen Bahnhöfen in Lennep und Wipperfürth dienen, war aber den Straßenverhältnissen und der Witterung des oberbergischen Landes nicht gewachsen. Als die Brüder Steinmüller 1873 die Weltausstellung in Wien besuchten, widmeten sie die meiste Zeit der Besichtigung von Dampfkesseln und kamen mit dem Entschluss zurück, einen Dampfkessel zu bauen, der alle anderen an Qualität überragen sollte. Den ersten Kessel baute Leberecht Steinmüller 1874 für die Druckerei seines Schwiegervaters Friedrich Luyken in Gummersbach. Zugleich entstanden die ersten Bauten für eine Kesselfabrik. Die völlige Trennung von Wasser- und Dampfumlauf brachte die Anerkennung als Patent durch das preußische und kaiserliche Patentamt in den Jahren 1876 und 1877.

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Wiehltalbahn, Karte
Die Trennung von Papierfabrik und Kesselwerk erfolgte aber erst 1882, als auf den Stettenwiesen gegen den Protest von Gummersbacher Bürgern eine Kesselschmiede für 30 Beschäftigte errichtet wurde. Die Folgejahre waren durch ständige Innovationen im Kesselbau gekennzeichnet. 1888 kam der erste Auftrag von der neben Siemens im Kraftwerksbau führenden AEG. Emil Rathenau wollte gar alle AEG-Kraftwerke mit Steinmüller-Kesseln ausrüsten. Auch der 1893 fertig gestellten Eisenbahnlinie Dieringhausen – Gummersbach – Hagen mit den Verbindungen nach Köln, ins Ruhrgebiet und damit in alle Teile Deutschlands führte zum Wachstum von Fabrik und Unternehmen mit einem Sprung von 80 Beschäftigten im Jahr 1892 auf 500 im Jahr 1900. Mit 1000 Beschäftigten war Steinmüller 1914 das größte Unternehmen in Gummersbach und nach 1918 stand auf den Stettenwiesen das größte Werk des oberbergischen Landes. In diese Zeit fiel der Bau des neuen Verwaltungsgebäudes mit einem ersten Bauabschnitt 1908 und der Erweiterung von 1922/27.

In den 1920er Jahren beteiligte sich die Firma Steinmüller an der Entwicklung der Kohlenstaubfeuerung und der vollmechanischen Kohleverbrennung und leistete damit einen entscheidenden Beitrag zur wirtschaftlichen Verbrennung von Rohbraunkohle und zur Entstehung leistungsstarker Braunkohle-Großkraftwerke bei. Die Zahl der Beschäftigten stieg auf 1500 im Jahr 1924 auf 3000 im Jahr 1939. Ein Drittel der Gummersbacher Bevölkerung war direkt oder indirekt von Steinmüller abhängig. Die wachsende wirtschaftliche Bedeutung manifestierte sich in der zweiten Erweiterung des Verwaltungsgebäudes im Jahr 1936.

Nach den starken Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg mit Verlust von etwa 40% der Werksanlagen und einer Sanierung der Werksanlagen 1978 bis 1982 gingen die historischen Gebäude im Werksgelände weitgehend verloren. Bis 1990 war Steinmüller ein „konzernfreies“ Unternehmen im Familienbesitz. Dann folgten die Übernahmen erst durch die Phillip Holzmann AG und später durch Babcock-Borsig mit Einstellung der industriellen Fertigung.


Verwaltungsgebäude, 1908, Arch. Heinrich Kiefer

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Verwaltungsgebäude. Foto: 2005
Der Ursprungsbau des Verwaltungsgebäudes von 1908 entstand nach Entwurf des Architekten Heinrich Kiefer. Der T-förmige Baukörper orientierte sich mit dem Querflügel nach Süden zum Werk und begleitete die Fabrikstraße mit einem 8-achsigen Gebäudekörper. Der Zugang zum Gebäude erfolgte über eine Eingangsloggia am Querflügel und führte nach den erhaltenen Bauplänen vorbei an einer Protiersloge zu einem den Flügel in ganzer Länge durchquerenden gewölbten Flur mit den daran angrenzenden Chefzimmern.

Nach einer Planung von 1922 wurde dieser Ursprungsbau nach Planänderung 1927 durch den vorspringenden Mitteltrakt mit anschließendem, vierachsigen Flügelbau ergänzt. Ausgeführt wurde 1922 nur der Keller. Die Planänderung betraf den anfangs nicht vorgesehenen Mitteltrakt und den vorläufigen Verzicht auf einen abschließenden Quertrakt.

Dieser Quertrakt wurde im dritten Bauabschnitt 1936 angefügt und noch einmal 1950 im rückwärtigen Bereich verlängert.

Das Verwaltungsgebäude der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg ist ein an Formen der Monumentalarchitektur besonders im Schlossbau erinnernder dreigeschossiger Putzbau mit vor die Hauptflucht vorspringenden Seitenflügeln und Mitteltrakt. Das hohe, mit Gauben belichtete Mansarddach wurde von dem Ursprungsbau auf die späteren Bauabschnitte übertragen. Seitenflügel und Mitteltrakt sind durch Zwerchhäuser auch in der Dachzone präsent.

Über dem mit Bruchsteinmauerwerk verkleideten Erdgeschoß sind die großen Rechteckfenster der beiden Hauptgeschosse in eine Vertikalordnung aus Wandvorlagen eingebunden. Das prägende Gestaltmotiv der Fassadenarchitektur sind die segmentbogigen Abschlussformen über den Fensterachsen mit Klötzchenfriesen, vorkragenden, gestuften Traufgesimsen und Konsolsteinen zwischen den Bögen. Der Fassadenschmuck wird im Ursprungsflügel ergänzt durch neobarocke Ornamentformen in den Brüstungsfeldern.

Hervorgehoben ist der Haupteingang im Mitteltrakt mit tief gestuften Natursteinumrahmungen für Eingang und die den Eingang beidseitig begleitenden Fenster. Ein kräftiges Sohlbankgesims trennt hier das Erdgeschoß von den Obergeschossen. Die Traufe des Mitteltraktes ist als horizontales Gesimsband ausgebildet. Die Segmentbogenformen der rechts und links anschließenden Flügel ist hier in die Dachzone als bekrönendes Element des Zwerchhauses verlegt worden.

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Sitzungszimmer, Verwaltungsgebäude. Foto: 2005
Mit Sanierung der Verwaltungsbereiche in den Jahren 1982 bis 1986 sind in die Öffnungen der Hauptgeschosse neue Aluminiumfenster und –türen eingebaut worden. In den Gauben sind noch die alten Holzfenster erhalten. Auch der Innenausbau stammt aus dieser Modernisierungsphase. Erhalten geblieben ist die monumentale Holzvertäfelung des Sitzungsraumes im Mitteltrakt mit wuchtig wirkender Kassettendecke, Pilastergliederung und Schnitzereien um die Uhr über der Doppeltür. Erhaltenswert ist auch die Holzverkleidung im Direktionszimmer des Quertraktes von 1908. Von der übrigen Innenarchitektur sind Überreste möglicherweise unter den in den 1980er Jahren eingebauten Wandverkleidungen noch vorhanden.

Ausweislich der erhaltenen Baubeschreibungen, statischen Berechnungen und historischen Fotos Bauakten, Dampfanlagen ist das Verwaltungsgebäude eine Stahlbetonskelettkonstruktion mit zwei mittleren Stützreihen und massiv in Ziegeln gemauerten Außenwänden.


Bedeutung

Kesselbau gehört zu den grundlegenden Fabrikationszweigen des Dampfmaschinenzeitalters. Nach den Kofferkesseln der James Watt-Zeit dominierten im Kesselbau jahrzehntelang die aus England stammenden Flammrohr- oder Cornwall-bzw. Lacashirekessel. Cornwallkellel hatten ein, Lancashirekessel zwei Flammrohre. Vereinzelt gab es sogar Dreiflammrohr-Kessel. Die Flammrohrkessel sowie in weiterentwickelter Bauform als dreizügige Flammrohr- Rauchrohrkessel waren in allen kleinen und mittleren Betrieben bis heute die meistverbreiteten Dampfkessel. Erst in den 1870er Jahren wurden diese Kessel ergänzt durch Schrägrohr- und Steilrohrkessel, an deren Entwicklung die Firma Steinmüller einen wesentlichen Anteil hatte. Steinmüller-Kessel fanden sich in allen Branchen und prägten die Technik der Energieerzeugung. Prächtig kolorierte Pläne der Kessel zieren noch heute die erhaltenen Dampfkessel-Konzessionsakten in den einschlägigen Archiven und Museen. Die Firma Steinmüller ist insofern von herausragender industriehistorischer Bedeutung. Da Werksbauten in bemerkenswerter Qualität und Substanz nicht erhalten sind, kommt dem Verwaltungsgebäude die Aufgabe zu, das Unternehmen auch in Zukunft im Stadtbild wirksam zu dokumentieren.

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Südfassade der Hauptverwaltung 1911|13 von Bayer. Leverkusen. Foto: Gregori, 2012
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Verwaltungsgebäude 1921|23 von Talbot. Aachen. Foto: Gregori, 2016
In den Architekturformen präsentiert das Verwaltungsgebäude der Fa. Steinmüller die allgemeine Hinwendung im Jahrzehnt nach 1900 zu monumentalen und insbesondere neobarocken Formen. Das Gebäude gehört zu einer Gruppe besonders repräsentativ gestalteter Verwaltungsbauten und lässt sich vergleichen mit der 1908 begonnenen und ebenfalls in mehreren Bauabschnitten fertig gestellten Hauptverwaltung des Bayerwerks Leverkusen. Wie die Hauptverwaltung der Firma Talbot in Aachen von 1923 verdeutlicht, waren auch noch lange im Zeitalter der Klassischen Moderne traditionelle und vor allem neobarocke Bauformen für repräsentative Bauaufgaben in der Industrie üblich. Interessant ist auch die Anlehnung an Vorbildern der Schlossarchitektur. Es hat im ganzen Verlauf der Industrialisierung immer wieder Anleihen der bürgerlichen Bauherrn an Vorbildern aus der Feudalzeit gegeben. Im Verwaltungsbau der Fa. Steinmüller gibt es mit der Gestaltung der Traufzone aber eine bemerkenswerte Variation mit Bezügen zum Jugendstil.

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Verwaltungs-, Lager- und Spinnereigebäude 1911 von Krawinkel. Bergneustadt-Volmarhausen. Baufoto von 1911
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Verwaltungs-, Lager- und Spinnereigebäude 1911 von Krawinkel. Bergneustadt-Volmarhausen. Foto: 1911
Der Architekt Heinrich Kiefer hat ähnliche Themen mit Entwurf des Hauses Waldfried 1912 für Carl Hugo Steinmüller und vor allem 1911 für das Verwaltungs-, Lager- und Spinnereigebäude der Strickwarenfabrik Krawinkel in Bergneustadt-Volmarhausen angeschnitten. Das Verwaltungsgebäude der Fa. Steinmüller ist insofern ein typischer Vertreter dieser Zeit der Übergangsstile und auch in architekturhistorischer Hinsicht bedeutend.

Von noch stärkerem architekturhistorischem Interesse ist die Verwendung von Stahlbeton für die Innenkonstruktion. Heinrich Kiefer hat dieses Material und diese Konstruktionsform auch für den bereits erwähnten Bau der Fa. Krawinkel in Volmarhausen verwendet. Stahlbeton ist zwar ein Material, das schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt war. Durchgesetzt hat es sich aber erst im Jahrzehnt nach 1900, als es die notwendigen Berechnungsmethoden und Erfahrungen gab. Das Verwaltungsgebäude der Fa. Steinmüller ist als ein Pionierbauwerk des Betonzeitalters zu verstehen und daher auch aus ingenieur- und technikgeschichtlichen Gründen bedeutend.


Literatur

• Brinkmann, Mieke/ Müller-Miny, Heinrich u. a.: Der Oberbergische Kreis, Bonn 1965
• Die Entstehung und Entwicklung der Röhrendampf-Kesselfabrik der Firma L. & C. Steinmüller, Gummersbach 1874-1899, Gummersbach 1899
Steinmüller-Blätter, 1. 1955 – 7. 1963
• L. & C. Steinmüller. Röhrendampfkessel- und Maschinenfabrik, in: Oberbergischer Bote, Gummersbach 1930, IV, 4-0
• 75 Jahre Steinmüller-Kessel. 1874 – 1949, Gummersbach 1949
• Steinmüller. Sanierung der Bürobereiche L. &. C. Steinmüller GmbH, Gummersbach, BTS 32, 1986, Heft 378, S. 1-16
• Historische Betrachtung der baulichen Entwicklung des Betriebsgeländes der L. & C. Steinmüller GmbH in Gummersbach und des städtischen Umfeldes, Typoskript Stadtarchiv Gummersbach 1985
• Nonnenmacher, G.: Aus der Geschichte der rheinischen Dampfkesselindustrie. Die Pioniere des deutschen Wasserrohrkesselbaus, in: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie (Hg. Conrad Matschoß), Bd. 15 1925, S. 210-225
• Nonnenmacher, Georg: 50 Jahre Steinmüller. 1874-1924. Typoskript Star Gummersbach
• Pomykaj, Gerhard: Die Geschichte der Firma Steinmüller – Ein kurzer Abriß, Typoskript Stadtarchiv Gummersbach 2005
• Pomykaj, Gerhard/ Dick, Volker: Oberbergische Geschichte. Bd. 3 von der Weimarer Republik bis zur Jahrtausendwende 1918-1999, Wiehl 2001
• Woelke, Jürgen: Alt Gummersbach in zeitgenössischen Bildern und Ansichten, Gummersbach 1975
• Woelke, Jürgen: Kapital war nötig. Gründerjahre in Gummersbach und Oberberg, Gummersbach 1985