Gesenkschmiede Hendrichs
Solingen, Merscheider Str. 297
Jochem Putsch
Die Gesenkschmiede Hendrichs in Solingen


Das Unternehmen

Peter-Wilhelm Hendrichs, der Gründer der Gesenkschmiede Hendrichs, machte sich um 1940 einige Notizen zur Entstehungsgeschichte seines 1886 gegründeten Unternehmens: Darin hieß es: „Wenn auch die (so) geschlagenen Scheren noch Mängel zeigten, so war doch der Vorteil den von Hand geschmiedeten gegenüber sehr groß, und wurde sich oft darüber unterhalten, wie es wohl möglich zu machen wäre, auch einen Betrieb zum Schlagen von Scheren einzurichten. Hierzu fehlten uns vorab jedoch die erforderlichen Mittel. Denn zur Errichtung einer Schlägerei kam nur Dampfkraft in Frage, also die Errichtung eines eigenen Betriebes.“ Nachdem nach einigen vergeblichen Bemühungen 1886 mit dem Solinger Maschinenbaufabrikanten Kieserling endlich ein Kreditgeber gefunden war, erlebte das Unternehmen einen raschen Aufschwung. Mit der neu eingeführten Gesenkschmiedetechnik ließen sich hohe Gewinne erzielen. Sichtbarer Ausdruck des sozialen Aufstiegs der Unternehmerfamilie war der Bau einer herrschaftlichen Villa im Jahre 1896.

schneidwaren_gesenkschmiede_hendrichs
Eckbau an der Merscheider Straße. Foto: Gregori, 2017
schneidwaren_gesenkschmiede_hendrichs
Werksbauten aus der Zeit 1889 bis 1900
Nach außen hin wurde die an der Verbindungsstraße zwischen Merscheid und Solingen gelegene Fabrik – abgesehen von einem schräg gestellten Fassadenstück an der Merscheider Straße – nicht gerade repräsentativ ausgeführt. Es handelt sich um einen eingeschossigen Zweckbau. Dieses Erscheinungsbild war charakteristisch für Gesenkschmiedebetriebe überhaupt, denn als Rohwarenproduzenten bildeten sie die Hinterzimmer der „Solinger Fabrik“, die nie ein auswärtiger Handelspartner zu Gesicht bekam. Die Fertigware wurde durch die in der Regel in der Solinger Innenstadt ansässigen Fabrikbetriebe vertrieben, die ihre Fassaden auch entsprechend aufwendig gestalten ließen. Großen Wert auf eine repräsentative Gestaltung legten die beiden Gründer hingegen bei der westlich der Fabrik errichteten Firmenvilla. Es handelt sich um ein Doppelwohnhaus mit zwei seitlich gelegenen Eingängen und absolut symmetrischem Grundriss. An der straßenseitigen Schaufront befinden sich zwei Eck-Standerker, die das Gebäude weithin markieren. Gemäß dem zeittypischen Baustil wurden die Straßen- und die Seitenfassaden mit üppigem Stuckdekor des französischen und niederländischen Renaissance-Stils und auch Barockmischformen versehen.

Die Dampfkraft-Anlage der Gesenkschmiede Hendrichs war im Hinblick auf einen künftigen Ausbau größer dimensioniert, als dies für den augenblicklichen Bedarf notwendig war. Die überschüssige Energie verwendete man für die mit dem Betrieb kombinierte Miet-Schleiferei. Die Brüder Hendrichs haben ihre Schleiferei bewusst errichtet, um die Firmengründung in der Anfangszeit mit den Mieteinnahmen finanziell solide abzusichern. Dieser Zweck war schon recht bald erfüllt, denn die Schleiferei wurde bereits vor dem Ersten Weltkrieg geschlossen. Im Zuge der Elektrifizierung hatten sich sehr viele Solinger Schleifer eine eigene Motor-Werkstatt eingerichtet, so dass es immer schwieriger wurde, die Arbeitsstellen in den Dampfschleifereien zu vermieten.

Im Laufe der Jahrzehnte entstand in der Gesenkschmiede Hendrichs ein großer Bestand an Werkzeugen (Leisten, Gesenke, Schnittwerkzeuge), mit dem insgesamt etwa 1.300 verschiedene Scherenmodelle in meist jeweils fünf bis sechs Größenabmessungen hergestellt werden konnten. Neben Scheren und chirurgischen Instrumenten wurden alle erdenklichen kleineren Schmiedestücke für benachbarte Industriezweige – so etwa die in Solingen ansässige Fahrrad(teile)-industrie – geschmiedet. Bereits um die Jahrhundertwende entwickelte sich die Herstellung von Schlüsseln für die Velberter Schloss- und Beschlägeindustrie zu einem weiteren wichtigen Standbein der Firma. Die Gründungsphase des Unternehmens endete mit der Auszahlung der stillen Teilhaber (Erbengemeinschaft Theodor Kieserling) im September 1906 – also 20 Jahre nach der Grundsteinlegung. Fortan wurden alle verfügbaren Mittel in den weiteren Ausbau investiert. 1910 wurde eine neue Dampfmaschine aufgestellt, die auch für die Zukunft noch Kraftreserven bot. Während des Ersten Weltkrieges produzierte die Fa. Hendrichs in beträchtlichem Umfang Rüstungsgüter. Im Jahre 1920 erreichte die Belegschaft mit 71 Personen einen vorläufigen Höchststand, der, unterbrochen durch die Rezession 1925/26, bis zur Weltwirtschaftskrise ab 1929 gehalten werden konnte. Im Lauf der Krise sank die Belegschaft auf 42 Personen im Januar 1933 ab.

In Zukunft sollten weder der Produktionsumfang noch die Beschäftigungszahlen der 1920er Jahre jemals wieder erreicht werden. Nimmt man den Koksverbrauch als Indiz der wirtschaftlichen Aktivität, so wurden erst 1938 wieder Werte erreicht, die mit denen der 1920er Jahre einigermaßen vergleichbar waren. Der bereits im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges einsetzende Rüstungsboom ließ die Belegschaft erneut anwachsen. Seit 1942 wurden Zwangsarbeiter aus dem westlichen Ausland eingestellt. Mit etwa 50 – 60 Beschäftigten wurden während des Zweiten Weltkrieges abermals in erheblichem Umfang Rüstungsteile erzeugt. Abgesehen von der Anschaffung einer zusätzlichen Drehbank konnte dabei auf den vorhandenen Maschinenpark der Scherenfertigung zurückgegriffen werden, der bereits 1925 durch die Aufstellung eines 1.000 kg-Hammers erweitert worden war. Als ehemaliger Rüstungsbetrieb wurde das Unternehmen 1945/46 von der englischen Besatzungsmacht stillgelegt. Nachdem die Fa. Hendrichs 1947 das „Permit“ erhalten hatte, nahm sie zunächst am allgemeinen Wachstumstrend teil, der bis 1953 stetig wachsende Umsatzzahlen bescherte. Die Zahl der Beschäftigten erreichte allerdings kaum mehr das Niveau der 1930er Jahre. Die Belegschaft wuchs von 15 Personen im Jahre 1947 auf 41 Personen im Jahre 1955. Spätestens in den 1960er Jahren trat das Unternehmen in eine Phase, in der stärkere Investitionen sowohl an den Fabrikationsgebäuden als auch in den Maschinenpark eine unabdingbare Voraussetzung für eine weitere prosperierende Entwicklung gewesen wären. Mangels Kapital und nicht zuletzt auch aufgrund der schweren Erkrankung des Unternehmers der dritten Generation, Peter-Wilhelm-Hendrichs, der in den 1950er Jahren noch einen neuen Dieselmotor für den Antrieb der gesamten Fabrik angeschafft hatte, wurden keine nennenswerten Investitionen mehr vorgenommen. Die Belegschaft reduzierte sich sukzessive, Neueinstellungen blieben auf das Nötigste beschränkt.

1986 wurde das Werk stillgelegt und anschließend Teil des Rheinischen Industriemuseums. Schlägereien wie die Firma Hendrichs repräsentieren den frühen Typ des Fabrikbetriebes in der Solinger Schneidwarenindustrie. Sie sind der Schlüssel zum Verständnis der industriellen Entwicklung Solingens. Erst durch die Schlägereien ist neben der in eine Vielzahl von Berufen aufgeteilten Handwerker-Arbeiterschaft eine davon sozial, kulturell und schließlich auch gewerkschaftlich bzw. politisch zu unterscheidende Fabrik-Arbeiterschaft entstanden. Im Hinblick auf die Entwicklung der Solinger Wirtschaftsstruktur kam den Schlägereien einen ähnliche Leitfunktion zu wie dem Eisenbahnbau auf nationaler Ebene. Der wachsende Bedarf an Werkzeugmaschinen – u.a. Fallhämmer, Vierschlaghämmer, Pressen, Drehbänke, Hobelmaschinen, Bohrmaschinen – führte dazu, dass in Solingen mehrere Maschinenfabriken entstanden, die sich durch überregionale Orientierung und Ausweitung des Produktprogramms auch dann halten konnten, nachdem der erste Boom der Ausrüstung von Schlägereien abgeklungen war.

Die Schließung der Gesenkschmiede Hendrichs im Jahre 1986 – genau 100 Jahre nach ihrer Gründung – und ihre Umwandlung in ein Industriemuseum war symptomatisch für den Deindustrialisierungsprozess in Solingen. Das Unternehmen war unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kaum mehr sanierungsfähig. Die Anlagen und besonders die Gebäude waren hoffnungslos veraltet, die Methoden der kaufmännischen Betriebsführung befanden sich noch weitgehend auf dem Stand der 1950er Jahre. Es gab einen ungeheuren Nachholbedarf an Arbeitsschutzmaßnahmen; viele der nach dem Stand der Technik festgelegten Bestimmungen der Gewerbeaufsicht waren nur ansatzweise erfüllt. Die Situation der Gesenkschmiede Hendrichs war kein Einzelfall. Das Problem des Generationswechsels erwies sich bei der überwiegenden Mehrzahl kleinerer, traditioneller Betriebe, die, sei es krankheitsbedingt oder aus anderen Gründen, den Anschluss verpasst hatten als nicht zu überbrückende Hürde. Es ist der eigenartigen Struktur der Solinger Schneidwarenindustrie zu verdanken, dass sich solchen Betrieben manchmal über Jahrzehnte hinweg eine Nischenexistenz bot, in der sie nicht selten in der Hand von greisen Unternehmern mehr oder weniger kümmerlich dahin vegetieren konnten.

Im Falle der Firma Hendrichs war diese Nische technischer Art. Kurioserweise verdankte die Gesenkschmiede Hendrichs gerade ihrer Antiquiertheit bis zuletzt eine gewisse Konkurrenzfähigkeit. Weil in den Kellern des Unternehmens noch der größte Teil der Werkzeuge einer nunmehr 100jährigen Fabrikation von Scherenrohlingen schlummerte, war diese Schmiede wie kaum eine andere in der Lage, aus dem Stand heraus die mit dem Nostalgieboom der 1970er Jahre wieder verstärkt nachgefragten historischen Zierscheren herzustellen. Moderne Schmieden waren zu neuen Methoden der Gesenkherstellung übergegangen und hatten ihren alten Werkzeugbestand verschrottet. Seit den späten 1960er Jahren wurden die Werkzeuge per Kopierfräs- oder Erodierverfahren hergestellt. Spätestens in den 1980er Jahren begann die CNC-Technik die Werkzeugmachereien der Gesenkschmiedebetriebe grundsätzlich zu revolutionieren. Die durch den erhöhten Kapitaleinsatz bedingte Verteuerung der Werkzeugkosten war nur bei einer Erhöhung der Stückzahlen rentabel. Die Fa. Hendrichs hingegen konnte einfach auf den vorhandenen Bestand an Gesenkwerkzeugen zurückgreifen oder im ungünstigsten Falle mit Hilfe der vorhandenen Patrizen die erforderlichen Werkzeuge anfertigen. Auf Basis dieses in der Vergangenheit angehäuften Bestandes an Werkzeugen konnte das Anfang der 1970er Jahre offensichtlich in eine Krise geratene Unternehmen sein Ende hinauszögern.



Bauten und Anlagen

schneidwaren_gesenkschmiede_hendrichs
Luftbild, 2010
„F.& W. Hendrichs - Scherenschlägerei u. Gesenkschmiede“ so steht es groß auf der markanten Eckfassade beim Schauplatz Solingen des Rheinischen Industriemuseums. Die Ziegel für die in relativ schmuckloser Backsteinbauweise errichtete Fabrik stammten aus einer benachbarten Ziegelei. Ursprünglich war der zunächst noch verhältnismäßig kleine Schmiedebetrieb mit einer die Gesamtanlage dominieren den Dampfschleiferei kombiniert, in der selbstständige Schleifer Arbeitsplätze mieten konnten. Die Verbindung zwischen den beiden Bereichen stellte die Dampfmaschine bzw. die Transmissionsanlage her.

schneidwaren_gesenkschmiede_hendrichs
Eckbau an der Merscheider Straße. Foto: Gregori, 2017
Nach außen hin wurde die an der Verbindungsstraße zwischen Merscheid und Solingen gelegene Fabrik – abgesehen von einem schräg gestellten Fassadenstück an der Merscheider Straße – nicht gerade repräsentativ ausgeführt. Es handelt sich um einen eingeschossigen Zweckbau. Dieses Erscheinungsbild war charakteristisch für Gesenkschmiedebetriebe überhaupt, denn als Rohwarenproduzenten bildeten sie die Hinterzimmer der „Solinger Fabrik“, die nie ein auswärtiger Handelspartner zu Gesicht bekam. Die Fertigware wurde durch die in der Regel in der Solinger Innenstadt ansässigen Fabrikbetriebe vertrieben, die ihre Fassaden auch entsprechend aufwendig gestalten ließen.

Die Dampfkraft-Anlage der Gesenkschmiede Hendrichs von 1906/10 war im Hinblick auf einen künftigen Ausbau größer dimensioniert, als dies für den augenblicklichen Bedarf notwendig war. Die überschüssige Energie verwendete man für die mit dem Betrieb kombinierte Miet-Schleiferei, um dort insgesamt 11 Arbeitsräumen mit Energie zu versorgen. In den Räumlichkeiten befanden sich Schleifstellen für etwa 80 bis 90 Schleifer. Die Firmengründer hatten sich durch die Kombination der Schmiede mit der Dampfschleiferei eine wichtige zusätzliche Einnahmequelle erschlossen, um die Firmengründung in der Anfangszeit mit den Mieteinnahmen finanziell solide abzusichern. Dieser Zweck war schon recht bald erfüllt, denn die Schleiferei wurde bereits vor dem Ersten Weltkrieg geschlossen. Im Zuge der Elektrifizierung hatten sich sehr viele Solinger Schleifer eine eigene Motor-Werkstatt eingerichtet, so dass es immer schwieriger wurde, die Arbeitsstellen in den Dampfschleifereien zu vermieten.

schneidwaren_gesenkschmiede_hendrichs
Entwicklungsphasen der Werksanlage

Die Fabrikanlage der Firma Hendrichs wurde in wenigen Etappen ausgebaut und erreichte bereits im Ersten Weltkrieg fast die heute erhaltene Größe. Bereits zwei Jahre nach der Grundsteinlegung erfolgte die erste Fabrikerweiterung. Das Schmiedegebäude wurde in der Fläche mehr als verdoppelt, so dass fünf weitere Fallhämmer aufgestellt werden konnten. Um die Jahrhundertwende zog man das Fabrikgebäude durch den Anbau einer Werkzeugmacherei bis an die Straßenfront der Merscheider (damals Mangenberger) Straße vor. Die Errichtung eines Lagers an der Westseite integrierte nun auch das inzwischen zum Kontor umfunktionierte ehemalige Wohnhaus in den Fabrikkomplex.

Die beiden Familien der Firmengründer hatten im Jahre 1896 eine auf dem Firmengelände errichtete repräsentative Villa bezogen. Drei Jahre später konnte auch ein eigener Pferde- und Kleinviehstall eingeweiht werden. Bis 1915 dehnte sich das Unternehmen noch einmal in alle Himmelsrichtungen aus: An der Nordostseite wurde eine Schneiderei, zur südlich gelegenen Hofseite eine weitere Schmiedehalle und im östlichen Teil der Fabrik ein Maschinenhaus angebaut; der westlich gelegene Lagerbereich wurde vergrößert. Als die Firma 1906 eine neue Dampfmaschine aufstellte, wurde auf dem Hof ein fast 20 Meter hoher Kühlturm errichtet. Die Grundfläche der Fabrikanlage erreichte schließlich durch den Anbau eines neuen Kesselhauses im Jahre 1939 mit etwa 4 000 Quadratmetern ihre maximale Ausdehnung. Insgesamt verfügte die Firma Hendrichs über 33 Hämmer, womit der Betrieb zu den größten Solinger Gesenkschmieden zählte. Vorübergehend standen sogar in der Nass-Schleiferei fünf Fallhämmer.

Die Dampfschleiferei blieb allerdings seit 1917 nahezu ungenutzt. Angesichts der rückläufigen Zahl von Stellenmietern während des Ersten Weltkrieges lohnte ihr Betrieb offenbar nicht mehr. Er ist auch nach dem Krieg nicht wieder aufgenommen worden. Die Firma Hendrichs nutzte nur einige Räume in der Dampfschleiferei. In den 1930er Jahren richtete sie hier Sozialräume für die Belegschaft ein, einzelne Räume dienten als Lager, im ehemaligen Maschinenraum wurden Batterien zum Speichern des Stroms vom eigenen Generator untergebracht.

In den 192Oer Jahren entstanden verschiedene Lagerschuppen auf dem Hofgelände und auch eine hölzerne Garage für die Automobile des Unternehmens. Aus dieser Zeit sind auch Gartenplanungen überliefert, die eine sehr aufwendige dekorative Gestaltung des Geländes hinter der Firmenvilla vorsahen. Die Fläche zwischen Villa und Fabrik war mit Obstbäumen bepflanzt.

Nach außen hin wirkte die Fabrik -abgesehen von der Eckfassade an der Merscheider Straße, wo sich eine Waage befand - wenig repräsentativ. Es handelte sich um einen eingeschossigen, shedüberdachten Zweckbau, dessen dunkle Backsteinmauern insbesondere bei dem in der Region vorherrschenden Regenwetter eine überaus unwirtliche Atmosphäre ausstrahlten. Dieses äußere Erscheinungsbild kennzeichnete die Gesenkschmiedebetriebe: Als Rohwarenproduzenten waren sie die Hinterzimmer der ,,Solinger Fabrik" und brauchten sich auswärtigen Handelspartnern nicht zu präsentieren.

Weil nach dem Ersten Weltkrieg keine nennenswerten Investitionen mehr in die Fabrikanlage vorgenommen wurden, hat sich die ursprüngliche Gestalt bis heute erhalten - ergänzt um die Spuren der Arbeit aus mehreren Jahrzehnten. Im Inneren prägten Reparaturen, Installationen von Maschinen und Geräten und auch kleinere bauliche Maßnahmen, die die Belegschaft im Laufe der Jahre selbst vornahm, das Aussehen der Fabrik.

Das alte Fabrikensemble mit den Gebäuden aus roten Backsteinen, den typischen schrägen Sheddächern oder den hohen Schornsteinen hat sich kaum verändert. Alle Maschinen, die Fallhämmer, Pressen und Fräsmaschinen, alle Werkzeuge, auch die Werkbänke für die Werkzeugmacher sind noch komplett vorhanden. Selbst der Umkleideraum mit den alten Spinden, der Waschraum mit der langen Reihe drehbarer Waschschüsseln, das Maschinenhaus oder das Kontor mit der klappernden Schreibmaschine, alles ist noch da.

schneidwaren_gesenkschmiede_hendrichs
Bäckerei. Foto: Miriam Schmalen, 2015
Auch die herrschaftliche Firmenvilla der Unternehmerfamilie von 1896 steht noch immer an ihrem Platz als sichtbarer Ausdruck des sozialen Aufstiegs der Unternehmerfamilie. Es handelt sich um ein Doppelwohnhaus mit zwei seitlich gelegenen Eingängen und absolut symmetrischem Grundriss. An der straßenseitigen Schaufront befinden sich zwei Eck-Standerker, die das Gebäude weithin markieren. Gemäß dem zeittypischen Baustil wurden die Straßen- und die Seitenfassaden mit üppigem Stuckdekor des französischen und niederländischen Renaissance-Stils und auch Barockmischformen versehen.


Ein Museum der Arbeit

schneidwaren_gesenkschmiede_hendrichs
Schmiedearbeiter in der Gesenkschmiede Hendrichs. Ölbild Alexander Calvelli
schneidwaren_gesenkschmiede_hendrichs
Gesenkschmiede Hendrichs. Ölbild Alexander Calvelli
schneidwaren_gesenkschmiede_hendrichs
Firmenvilla Hendrichs. Foto: Miriam Schmalen, 2015
Nach dem Ende der Fabrikation ist der Schauplatz Solingen des LVR-Industriemuseums (in die ehemaligen Gesenkschmiede Hendrichs gezogen - ein ganz besonderes Museum, denn hier wird immer noch gearbeitet: Die Treibriemen surren, die Öfen glühen und der Hammer schlägt. Es herrscht eine ganz besondere Atmosphäre, die fasziniert und neugierig macht. Arbeiter im Blaumann stehen an den Fallhämmern und schmieden Scheren. In einem anderen Raum werden die Gesenkwerkzeuge für die Scherenformen mit Feile und Schraubstock bearbeitet. Die Weiterverarbeitung der Scheren - das Härten, das Schleifen und das Zusammensetzen – wird in ehemaligen, noch betriebsfähigen Heimarbeiter-Werkstätten, die in die Ausstellung integriert wurden, gezeigt. Weitere Abteilungen veranschaulichen die Mechanisierung des Schleifens und erläutern das Leben und die Arbeit der Menschen in der Schneidwarenproduktion. Die herrschaftliche Firmenvilla von 1896 bietet den Besucherinnen und Besuchern darüber hinaus Einblicke in die bürgerliche Lebenswelt der Fabrikantenfamilie. Hier befindet sich auch das Museumscafé mit Wintergarten. Im Sommer lädt die schöne Gartenanlage mit dem alten Baumbestand zum Verweilen ein.


Gestern und heute

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erlangte die Solinger Schneidwarenindustrie eine führende Position auf dem Weltmarkt. Das Erfolgsgeheimnis lag in der flexiblen Arbeitsteilung zwischen industriell arbeitenden Gesenkschmieden und hochspezialisierten und qualifizierten Handwerkern und Heimarbeitern, die in kleinen Werkstätten selbständig arbeiteten. In dieser Zeit gründeten die Brüder Hendrichs die Gesenkschmiede in Solingen-Merscheid. Auch heute noch spielt die Schneidwarenindustrie in Solingen eine wichtige Rolle, aber die Anzahl der Betriebe hat sich deutlich verringert. Hundert Jahre nach ihrer Gründung im Jahre 1886 schlossen sich auch die Pforten der Firma Hendrichs. Doch nur wenige Wochen später öffneten sich die Fabriktore erneut. Die ehemaligen Mitarbeiter der Firma Hendrichs demonstrierten nun im Museumsbetrieb die Herstellung von Scherenrohlingen. Im November 1986 öffnete der Schauplatz Solingen des Rheinischen Industriemuseums zunächst Teilbereiche der alten Fabrik zur Besichtigung. 1999 erfolgte dann die komplette Neueröffnung nach einfühlsamer Restaurierung und dem Einbringen moderner Ausstellungstechnik.


Unterhaltsame und erlebnisreiche Programmvielfalt

Mehr als 3500 qm² Ausstellungsfläche warten in Solingen darauf, entdeckt zu werden. Ausgearbeitete Rundgänge bieten einen Einblick in die Themenbereiche des Museums. Wer mag, kann sich anhand von verschiedenen Schwerpunkten durch das Museum leiten lassen. Darüber hinaus begleitet ein umfangreiches Rahmenprogramm die Angebote des Museums. Neben Sonntagsführungen, abendlichen Themenführungen oder Kinderführungen durch das Museum erfreuen sich industriegeschichtliche Exkursionen und Betriebbesichtigungen großer Beliebtheit. Vorträge, Lesungen oder Diskussionsveranstaltungen stehen ebenfalls auf dem Programm.

Die Konzertreihe „Jazz in der Schmiede“ oder auch das jährliche Museumsfest bilden Highlights im jährlichen Veranstaltungskalender. Im November eines jeden Jahres findet der Messer-Gabel-Scherenmarkt statt. Mehr als 20 Solinger Firmen präsentieren Schneidwaren für jeden Geschmack und jeden Bedarf – und dies in allerbester Qualität. Unter dem Titel „Sonndags en der Schmette“ lädt der Förderverein drei- bis viermal im Jahr zu Gesprächen und Vorträgen in lockererer Atmosphäre ein.

Auch die Kooperationsveranstaltungen mit dem Humboldtgymnasium, der Partnerschule des Museums sind immer wieder Publikumsmagneten. Zum regelmäßigen Angebot gehört außerdem ein Schleifservice. Dienstags ist die Schleiferei besetzt und die Besucher können ihre abgenutzten Scheren oder Messer zu günstigen Preisen wieder aufarbeiten lassen.

Das vielseitige museumspädagogische Programm umfasst Angebote für Kindergärten, nach Jahrgangstufen und Schulformen differenzierte Programme für Schulklassen, bietet spannende Kindergeburtstage sowie eine Vielzahl von Veranstaltungen und Aktionen für Familien mit Kindern.



Weitere Standorte der Industriegeschichte beim Rheinischen Industriemuseum Solingen

Das thematische Angebot der Dauerausstellung in der ehemaligen Gesenkschmiede Hendrichs wird ergänzt durch ein Netzwerk von industriegeschichtlichen Anlaufstellen, die der Schauplatz Solingen des LVR- Industriemuseums mit Hilfe verschiedener Partner aufbauen konnte: In der ehemaligen Dampfschleiferei Loos erinnert ein kleiner Ausstellungsraum an die Geschichte der Solinger Dampfschleifereien. Die Rekonstruktion eines Lieferkontors mit Exponaten aus dem Rheinischen Industriemuseum ist in der ehemaligen Stahlwarenfabrik „Fa. Friedr. Abr. Herder“ – heute Gründer- und Technologiezentrum - zu sehen. Der wassergetriebene Wipperkotten, in dem heute noch selbständige Schleifer arbeiten, bietet Informationen zum Beruf und zu den Arbeitsbedingungen der Schleifer. Die Taschenmesserreiderei Lauterjung ist eine typische Werkstatt der Solinger Heimindustrie, in der die Originaleinrichtung vollständig erhalten geblieben ist. In der ehemaligen Waffen- und Fahrradfabrik Weyersberg, Kirschbaum & Cie. (WKC), dem heutigen Solinger Rathaus, informiert eine kleine Ausstellung über die Geschichte der Solinger Fahrradproduktion. Das 1928 errichtete Waschhaus in der Siedlung Weegerhof mit der erhaltenen Originalausstattung informiert über die mühselige Arbeit des Waschens und eine ehemals hochmoderne sozial vorbildliche Gemeinschaftseinrichtung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus.


Literatur

• Boch, R.: Was macht aus Arbeit industrielle Lohnarbeit? Arbeitsbedingungen und –fertigkeiten im Prozeß der Kapitalisierung: Die Solinger Schneidwarenfabrikation 1850-1920, in Sowi 9, 1980, H. 2
• Hendrichs, Franz: Die Schleifkotten an der Wupper, Köln 1922
• Friedr. Herder Abr. Sohn. In: Die westdeutsche Wirtschaft und ihre führenden Männer (Hg. Dr. Julius Kiel). Oberursel 1982
• Putsch, Jochem:“…wurde am 2.Sept.1886 der erste Stein zur Schleiferei gelegt“. Baustadien der Fabrik, in: Gesenkschmiede Hendrichs. Solinger Industriegeschichte zwischen Handwerk und Fabrik, Essen 1999, S. 57 – 59 (Schriften / Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Industriemuseum; Bd. 15 Ausstellungskatalog)
• Putsch, K.P. Wiemer, Auf den Spuren der Solinger Schleifer. Historische Touren in Solingen-Widdert (= Rheinisches Industriemuseum. Wanderwege zur Industriegeschichte Band 2). Köln 1992
• Dagmar Thiemler, Reinhard Dauber, Jochen Putsch, Solinger Dampfschleifereien. Historische Handwerksstätten der Solinger Schneidwarenindustrie (= Rheinisches Industriemuseum, Kleine Reihe, Heft 7). Köln 1991