Tuchfabrik Delius
Aachen, Deliusstr. 6-30
Sandra Charlet
Tuchfabik Delius in Aachen


Geschichte

Carl Delius, ein Verwandter der Familie Van Gülpen, war bis zum Ersten Weltkrieg einer der namhaftesten Industriellen der Aachener Tuchindustrie des auslaufenden 19. Jahrhunderts. Er wurde am 11. Februar 1821 in Salzkotten geboren, überführte 1851 seine ehedem in Imgenbroich (bei Monschau in der Eifel) betriebene Tuchfabrik in ihrer Gesamtheit nach Aachen und gründete hier eine Weberei in der Jakobstraße und eine Walke, Rauherei und den Schwerwinkel in der heute als Barockfabrik bekannten Tuchfabrik, die zwar von Startz erbauten worden war, aber um 1850 zum Geschäftsbereich von J. A. Bischoff gehörte. Die Söhne Carl, Gustav und Robert Delius setzten das Werk ihres Vaters fort und schufen die Firma Carl Delius, welcher es vorbehalten blieb, später – Jahrzehnte hindurch – eine führende Stellung innerhalb der gesamten deutschen Tuchindustrie einzunehmen. Permanente Vergrößerungen machten den Wechsel in immer größere Betriebslokale erforderlich.
Schaubild um 1908
1906 produzierte die Firma in der Gebrannten Mühle in Aachen. Am 8. August 1906 reichte Carl Delius bei der Polizeiverwaltung einen Bauantrag ein für die Errichtung einer kompakten Fabrikanlage, die „mit allen Verbesserungen der Neuzeit ausgerüstet werden soll“. Der Entwurf der Architekten Schwarze und Feldmann wurde ausgeführt. Somit entstand kurze Zeit später der noch heute erhaltene viergeschossige Backsteinkomplex in der Deliusstraße. Die Fabrikanlagen in der heutigen Deliusstraße zeugen von der Bedeutung dieses Unternehmens, welches zu Glanzzeiten 1200 Arbeiter und 100 Angestellte beschäftigte.

Nach dem Ersten Weltkrieg war die Aachener Tuchindustrie durch Modewechsel und Rheinlandbesetzung erheblich geschwächt. Aber auch im übrigen Deutschland hatte das Webergewerbe sehr stark zu kämpfen. So schlossen sich am 3. Juli 1928 acht deutsche Betriebe mit einem Kapital von 15 Milliarden Reichsmark zur „Toga, vereinigte Weberei Aktien-Gesellschaft“ zusammen. Zu dieser Vereinigung gehörten auch die Betriebe von Carl Delius und Johann Erckens Söhne, welcher auch in Aachen ansässig war. Die beiden Betriebe zusammen stellten 1400 Arbeitnehmer. Doch bereits am 8. Februar 1932 löste sich die Toga wieder auf. Alle beteiligen Betriebe wurden stillgelegt. Ende 1932 zählte die Aachener Tuchindustrie kaum noch mehr als 6000 Arbeitnehmer und von diesen waren die meisten nicht einmal voll beschäftigt.

Im Jahr 1947 eröffnete dann die Firma Monheim eine Nahrungsmittel- und Schokoladenfabrik in den Räumen der ehemaligen Tuchfabrik Carl Delius. 1980 wurde die Schokoladenfabrik ausgelagert.


Baubeschreibung

Hauptbau, Foto 1925
Der ehemalige Hauptbau der Tuchfabrik von 1906 präsentiert sich als viergeschossiger Ziegel-Putz-Bau bzw. Backsteinkomplex. Zur Deliusstraße hin ist sie in 17, zur Mauerstraße hin in drei Doppelachsen gegliedert. Dem Straßenverlauf der Deliusstraße entsprechend ist die Fassade gebogen. Die Fassade ist gekennzeichnet durch gotisierende Schmuckformen. Die Fenster sind je zu zweien gekuppelt und in stichbogigen, zurückspringenden Wandfeldern zusammengefasst. Das Attikageschoss sticht mit dreifach gekoppelten Fenstern hervor. Alle Fenster haben aufstrebende, lisenenartige Fenstereinfassungen, welche in ihrer Wirkung allerdings durch abgeschrägte Gesimse und Fensterbänke eingeschränkt werden, wenn nicht sogar ein gegenteiliger Effekt erzielt wird: das Gebäude wird in seiner Längsdehnung noch betont. Die Ecke Mauerstraße/Deliusstraße wurde durch einen Baukörper hervorgehoben, der formal an einen im Bergbau des 19. Jahrhunderts üblichen Malakoffturms erinnert. In Verbindung mit den an Zinnen erinnernden Putzverblendungen der Fassade, erweckt das äußere Erscheinungsbild des Gebäudekomplexes den Eindruck einer mächtigen Wehrarchitektur.


Der Umbau

Nachdem das Gebäude 1980/81 unter Denkmalschutz gestellt wurde loste die Stadt Aachen 1981 einen Wettbewerb aus, um prüfen zu lassen, ob sich das Objekt erhalten ließe. Fast alle Wettbewerbsteilnehmer kamen zu dem Ergebnis, dass eine Neunutzung unter wirtschaftlichen Aspekten durchgeführt werden könnte. Der Entwurf des Preisträgers sah exklusive Wohnungen mit repräsentativem Treppenhaus und Pförtnerloge in der Gebäudemitte vor. Die Planung mit Concierge und rundem Treppenhaus war nicht realisierbar. Danach wurde eine andere Planung vorgelegt und mit der Denkmalpflege abgestimmt.

1982 stellte der Besitzer, die Aachener und Münchener Versicherungen AG, ein Bauantrag zum Umbau, Erweiterung und Nutzungsänderung der ehemaligen Fabrik in eine Wohnanlage. Die ausführenden Architekten sind Dipl.-Ing. J. Schwarze und Dipl.-Ing. H. Feldmann, beide aus Aachen. Als Bauherr wurde die so genannte Bauherrengemeinschaft Deliusstraße genannt. Es entstand eine Appartementwohnanlage mit 78 Wohneinheiten in der Deliusstraße. Dafür wurden teilweise angrenzende Gebäude abgerissen, das Dachgeschoss ausgebaut und auch teilweise die äußere Gestalt des Gebäudes verändert. Statt des bisher einzigen Einganges in der Deliusstraße, sind mehrere eingerichtet worden, um ausreichend Zugänge zu den Wohnungen zu schaffen. Die ehemaligen Fenster wurden herausgenommen, um dahinter Loggien einzurichten.

Als Parkmöglichkeit wurde das Untergeschoss zur unterirdischen, geschlossenen Wohnhaustiefgarage ausgebaut. Die Frischluftzufuhr ist durch die nur mit Gittern versehenen Fenster ausreichend. Zusätzlich sorgen aber Ventilatoren für Zu- und Abluft. Dort, wo angrenzende Gebäude auf dem ehemaligen Fabrikgelände abgerissen worden sind, wurden auch wieder neue Wohnbauten errichtet. Die Fassaden der Rückfront und der Neubauten wurden als Ziegelverblendmauerwerk der Ziegelsteinfassade auf der Deliusstraße angepasst.



Fazit

Der Umbau der ehemaligen Tuchfabrik Delius ist sehr gut gelungen. Das äußere Erscheinungsbild ist weitgehend bewahrt geblieben, so dass der Aspekt der Anschaulichkeit eines Denkmals erfüllt ist. Ursprüngliche Substanz findet sich vor allem in der Fassade auf der Deliusstraße.

Durch die Umnutzung zu Appartementwohnanlage ist der Fabrikcharakter im Inneren nicht erhalten. Dadurch, dass viele einzelne Wohneinheiten entstanden sind und somit Wände eingezogen wurden, ist im Innenraum nichts mehr zu erkennen von den typischen Fabrikhallen. Maschinen sind auch nicht mehr erhalten; diese sind allerdings schon entfernt bzw. ausgetauscht worden, als die Schokoladenfabrik Monheim in die Räume verlegt worden ist.

Die Einbindung der ehemaligen Tuchfabrik in die umstehenden Gebäude ist ebenfalls sehr gut gelungen. Die Neubauten auf dem ehemaligen Gelände sind dem äußeren Erscheinungsbild der Fabrik angepasst worden. Zum einen sind sie ebenfalls aus Ziegelsteinen errichtet worden und zum anderen entspricht ihre vertikale Ausrichtung in etwa der Höhe der ehemaligen Fabrik. Es entstehen also keine gravierenden Niveaudifferenzen und die Anlage erhält insgesamt einen harmonischen Gesamtcharakter.

Was auch sehr gut gelöst ist, ist das Parkproblem. Dadurch, dass die Autos in der Tiefgarage „verschwinden“, wird die Wohnqualität erhöht.

Abschließend kann man sagen, dass trotz der vorgenommen Eingriffe, die städtebaulich besonders relevante Gestaltung der weithin bekannten Fabrik erhalten geblieben ist.

Sandra Charlet: Die ehemalige Tuchfabrik Delius in Aachen, Semesterarbeit RWTH Aachen, Lehrgebiet Denkmalpflege, WS 2004/05(gekürzte und für das Internet bearbeitete Fassung)


Literatur

• Bruckner, C.: Aachen und seine Tuchindustrie, Horb a.N. 1949
• Erb, Franz und Marcus, Rolf: Im Wandel der Zeiten. Aachen. Ein Vergleich alter und neuer Ansichten. Wuppertal 1984
• Meyer, Lutz Henning: Bericht über die Denkmalpflege in Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 96, 1989, S. 437-473.
• Rouette, Hans-Karl: Aachener Textil-Geschichte(n) im 19. und 20. Jahrhundert. Entwicklung in Tuchindustrie und Textilmaschinenbau der Aachener Region. Aachen 1992.
• Bauakten des Gebäudes Deliusstraße 6-30, Bauaktenarchiv Aachen.