Glashütte Gerresheim | Werksaltenheim Ferdinandheim
Düsseldorf, Heyestraße 99
Objektführer



Peter Henkel | Wolfgang Ohneck
Das Werksaltenheim Ferdinandheim in Düsseldorf-Gerresheim


Die Heyestraße 99 ist eng mit der Glashütte verbunden und steht für den sichtbaren Strukturwandel am Ende des 20. Jahrhunderts.

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historisches Foto von 1914 des Ferdinandheims
Hier stand das 1890 von der Witwe Ferdinand Heyes, Pauline Heye, errichtete Ferdinandheim. Es sah ähnlich aus wie die nicht weit entfernt liegende Ferdinand-Heye-Schule und diente als firmeneigenes Altersheim, das ehemalige Arbeiter der Glashütte und ihre Ehefrauen aufnahm. In der Darstellung der „Wohlfahrts-Einrichtungen“ der Glashütte von 1902 wird es so geschildert: „In schöner, nach Norden und Osten geschützter Lage, an dem Fuße der bewaldeten Berge stehen das Haupt- und das Ökonomiegebäude in großem Garten mit Bäumen und mit Blumen.“ Das Ferdinandheim gehörte wie das „Heyebad“ an der Torfbruchstraße zu den sozialen Wohltaten, die von Heye gewährt wurden. Ganz im patriarchalischen Selbstverständnis vieler Industrieller der Zeit pflegte Heye ein zweischneidiges Verhältnis zu seinen Arbeitern. Einerseits gewährte er großzügige soziale Leistungen, andererseits vertrat er eine klare „Herr-im-Hause-Politik“. Die soziale Seite der Heye-Dynastie diente ähnlich wie die Arbeitersiedlungen dazu die Arbeiter dauernd an die Firma zu binden. Das Verhältnis Arbeitgeber – Arbeiter war geprägt durch eine in alle Bereiche des Arbeiterlebens reichende Kontrolle und Leitung durch den Arbeitgeber. Er sah sich in der Rolle des strengen, aber gerechten Familienoberhauptes, das wusste, was für seine Leute gut war und was nicht. Was nicht dazu gehörte, war die Arbeiterselbstorganisation, also die Gründung von Gewerkschaften. Dass die Arbeiter nicht immer mit den Arbeits-, Lohn- und Lebensvorstellungen der Familie Heye übereinstimmten, galt als Affront. Im Sinne einer Teile-und-Herrsche-Politik erhöhte Heye die Löhne der Arbeiter, während die Widerspenstigen die Entlassung fürchten mussten. Die Glashüttenleitung ließ „schwarzen Listen“ der gewerkschaftlich organisierten Glasarbeiter anfertigen. Mit diesen Listen sollte eine Beschäftigung der unbotmäßigen Glasarbeiter landesweit unterbunden werden. Wem gekündigt wurde, der musste die Werkswohnungen unverzüglich räumen.

Der große erfolglose Streik 1901 an der Gerresheimer Glashütte zeigt deutlich dieses Vorgehen. Die streikenden Arbeiter konnten dem Druck der Werksleitung und der örtlichen Polizei nicht standhalten. Unhaltbar wurde ihre Position durch den Import russischer Streikbrecher aus Odessa. Durch diesen Druck auf „ihre“ Arbeiter und den vielfältigen patriarchalisch gewährten sozialen Angeboten in Verbindung mit evangelisch-kirchlichem Segen wurde ein effizienter Streik der Belegschaft erfolgreich verhindert. Um unabhängig vom Arbeitgeber die Sozialfürsorge auszubauen, gründete die Arbeiterwohlfahrt 1926 das erste Waisenhaus seiner Art in Gerresheim im Haus Heyestraße 51. Kurz zuvor hatte der Stadtrat das paritätisch betriebene Waisenhaus an der Stromstraße aufgelöst.

1943 wurde das Ferdinandheim durch einen Bombenangriff beschädigt. Nach dem Krieg wurde es als Betonbau mit Glasfassade als Verwaltungsgebäude der Glashütte wiederaufgebaut. Später folgten verschiedene Geschäfte und Lokale im Erdgeschoss. Heute ist es ein moderner kubischer Zweckbau der „Unfallkasse NRW“ mit Frisör und Reisebüro im Erdgeschoss. Schon lange vor dem Ende der Glashütte begann also der Dienstleistungssektor das Erbe der klassischen Industrie anzutreten. Dieser Strukturwandel bot die Möglichkeit triste Industriebrachen neu zu entwickeln. Auf dem Gelände der Vereinigten Kesselwerke in Oberbilk entsteht heute das moderne Justizzentrum.

Der rasante Anstieg der Beschäftigtenzahl und der Druck durch die Arbeiterbewegung zwangen zu der Einsicht, dass bestimmte Risiken des Arbeitslebens nicht mehr der privaten Initiative überlassen werden konnten, sondern durch öffentliche Versicherungen abgemildert werden mussten. So wurde 1884 eine einheitliche gesetzliche Unfallversicherung eingeführt. Sie sollte verbindlich die Haftung von Unternehmern gegenüber ihren Beschäftigten regeln.

Aus dieser Traditionslinie entstanden nach 1945 für Nordrhein-Westfalen mehrere Unfallkassen, die sich 2007 zur Unfallkasse Nordrhein-Westfallen zusammenschlossen. Deren Regionaldirektion Rheinland befindet sich am ehemaligen Standort des Ferdinandheims.

Auch die Arbeitslosenversicherung geht in ihren Ursprüngen auf private Initiativen zurück. Schon 1888 entstand in Düsseldorf ein „Verein zur Verpflegung und Beköstigung obdachloser Wanderer". Unter dem Eindruck einer Arbeitslosenquote von 20 Prozent entstand dann nach dem Ersten Weltkrieg das Städtische Arbeitsamt Düsseldorf. Dessen Unterstützungszahlungen verloren jedoch während der Inflation 1923 ihren Wert, Notspeisungen sollten das größte Elend einschränken. Abhilfe sollte die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber und -nehmer bringen.

1927 trat an die Stelle des städtischen Arbeitsamtes die Reichsanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung, dem Vorläufer der heutigen Agentur für Arbeit. Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre machte jedoch alle Bemühungen zunichte, das Heer der Arbeitslosen sozial aufzufangen. Gesellschaftliche Unruhen, politische Zerstrittenheit sowie ein zunehmender Radikalismus ebneten letztendlich den Weg ins Dritte Reich.