Köln
Georg Giebeler / Walter Buschmann

Kölner Industriekultur. Bedeutung und Überlieferung

Alter Markt in Köln
Köln. Handelsschiffe am Rhein
Einer der hoch-geschätzten und viel-zitierten Soziologen des 20. Jahrhunderts – Max Weber – hatte in einer Typologie der Städte unterschieden in Ackerbürgerstadt, Fürstenstadt, Marktstadt, Händler – oder Gewerbestadt, Festungs- und Garnisonsort unterschied auch in Konsumenten- und Produzentenstadt, sprach von Rentnerstädten wie Wiesbaden und Finanzstädten wie London, Paris und Berlin sowie Verwaltungsstädten wie Düsseldorf. Auch wenn man – wie Weber schon einräumte – die empirische Stadt durchweg als Mischtyp dieser Funktionen verstehen muss, ist es doch reizvoll zu überlegen, wo Köln in dieser Typologie der Städte einzuordnen wäre. Man kann mit Sicherheit sagen: Köln war keine Residenz- oder Fürstenstadt. Köln war eine Bürgerstadt, lebte stark vom Handel seiner Bewohner. Es war lange keine Gewerbe- oder Industriestadt – Weber nennt hier als Beispiele Essen und Bochum. Erst die Eingemeindung der Industrievororte Ehrenfeld, Kalk, Mülheim brachte Köln auf den Weg dahin.

Römische Brücke über den Rhein, um 300 n. Chr. Rekonstruktionsversuch
Kölner Brücken mit Hauptbahnhof
Kölner Eisenbahnen um 1910
Gelegen an einer der wichtigsten Transportachsen Europas, am Rhein hatte Köln seit der Stadtgründung durch die Römer 50 n. Chr. eine Mittlerfunktion zwischen Nord und Süd. Die Verbindung über Holland zur Nordsee machte Köln zu einem Handelsplatz internationaler Güter. Straßen, später Eisenbahnen und Flugverkehr begünstigten den Ost/West-Handel. Verkehrsbauten prägten das Bild der Stadt über die Jahrhunderte hinweg, seitdem die Römer den Rheinhafen und die konstantinische Brücke errichtet hatten. Die Kölner Brückenbauten seit der 1859 fertig gestellten Dombrücke haben Weltgeltung. Zu den Brücken kamen im 19. Jahrhundert die Eisenbahnanlagen mit dem Hauptbahnhof direkt am Dom als dominantem Bauwerk dieser Provenienz in Köln und zahlreichen Wartungs- und Werkstatteinrichtungen, Rangier- und Güterbahnhöfen, einer großen Zahl von Brückenbauwerken für die kreuzungsfreie Führung des Verkehrs. Die Flughäfen Butzweilerhof und Konrad-Adenauer in Porz-Wahn setzten die Tradition qualitätvoller Verkehrsbauten in Köln fort.

Hauptbranchen der Kölner Industriegeschichte
Hauptbranchen in Köln und ihre Verteilung. Stadtkarte 1967
Der Kölner Bürger war Kaufmann, erwarb über Aktien auch Eigentum in der Industrie und beteiligte sich an Industrie-, Bergbau- und Eisenbahngesellschaften. Für Fabrikgründungen innerhalb der Kernstadt jedoch gab es nur wenig Raum, so dass aus kleinen Anfängen in der Kernstadt erst durch Verlagerungen nach außerhalb der Stadtmauern regelrechte Industriebetriebe werden konnten. Eine wichtige Rolle übernahmen dabei die um Köln herum entstehenden Vorstädte Ehrenfeld, Nippes, Kalk, Porz und natürlich das schon im 18. Jahrhundert durch protestantische Unternehmer prosperierende Mülheim.

Hauptbranchen der industriellen Entwicklung in Köln waren: Metallverarbeitung, Maschinenbau, Chemie sowie Motoren- und Fahrzeugherstellung. Exemplarisch sollen hier einige Firmen gezeigt werden, die sich markant und anschaulich durch gute und interessante Architektur auch im Stadtbild zeigen.

G. F. D. Gasmotorenfabrik Deutz. Giebel an der Deutz-Mülheimer Straße
Das industriegeschichtlich mit Abstand wichtigste Unternehmen in Köln war und ist die als Gasmotorenfabrik Deutz entstandene Deutz AG. Es war, 1864 gegründet von Nicolaus August Otto und Eugen Langen, die erste Motorenfabrik der Welt, und entwickelte sich rechtsrheinisch auch Dank zehnjährigem Engagement von Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach zu einem der Kölner Großunternehmen mit einer beeindruckenden Werksarchitektur entlang der Deutz-Mülheimer-Straße. Als architekturhistorisches Highlight befindet sich auf dem Werksgelände der Rest einer Ausstellungshalle, entworfen von Bruno Möhring und Reinhold Krohn. Diese Ausstellungshalle, entstanden für die große Kunst- und Gewerbeausstellung in Düsseldorf 1902 wird zu Recht als einer der Pionierbauten der Moderne eingestuft.

Van der Zypen & Charlier. Einer der spektakulärsten Innenräume der Kölner Industriearchitektur: das ehem. Hauptmagazin des Unternehmens.
Nicht weit entfernt sind an der Deutz-Mülheimer-Straße Bauten der Waggonfabrik Van der Zypen & Charlier erhalten. In dem 1845 gegründeten Unternehmen wurde nach einer Erfindung von Eugen Langen Anfang der 1890er Jahre die dann in Wuppertal realisierte Schwebebahn erprobt. Die heute so genannten Schwebebahnhallen sind mit Resten der Probestrecke erhalten und zeugen vom Erfindungs- und Unternehmensgeist Kölner Ingenieur-Unternehmer.

Maschinenfabrik Humboldt in Kalk.
Waggonfabrik und Deutzer Motorenfabrik vereinigten sich in den 1920er Jahren im Rahmen eines unter Leitung von Peter Klöckner entstandenen montan-industriellen Komplexes zur Klöckner-Humboldt-Deutz AG. Teil des Konzerns war die 1854 in Kalk gegründete Maschinenfabrik Humboldt, ein Unternehmen, das sich im Verlauf der Jahrzehnte zum Primus der besonders auch in Ehrenfeld verankerten Kölner Maschinenbauindustrie entwickelte. Humboldt machte sich besonders einen Namen mit Bergwerksmaschinen, produzierte Lokomotiven, Traktoren Industrieausstattungen aller Art ebenso bemerkenswerte Stahlkonstruktionen für den Hochbau. Humboldt war berühmt für seine großen Fabrikhallen in den vom Werkbund beeinflussten Formen.

Felten & Guilleaume. Ehemalige Hauptverwaltung und Direktionsgebäude.
Zu den Kölner Traditionsbetrieben gehört das aus dem Seilerhandwerk hervorgegangene, im 19./ 20. Jahrhundert mit Stahlseilen und Kabeln zur hohen Blüte sich entwickelnde Unternehmen Felten & Guilleaume. Aus der Kölner Südstadt stammend, entstand seit 1874 das Carlswerk im Norden von Köln-Mülheim. Das Werk besticht noch heute mit seiner dem Duktus romanischer Kirchen entlehnte Backsteinarchitektur der älteren Fabrikhallen wie auch durch die Großbauten der Zeit um 1910 an der Schanzenstraße. Darüber hinaus fasziniert der Ensemblecharakter sowohl des Werksareals wie auch der zugehörigen Verkehrsanlagen und Wohnbauten mit der Werkssiedlung an der Keupstraße.

Putzmittelfabrik Sidol. Hinter dem Haupteingang erhebt sich markant die von Otto Müller-Jena entworfene Fabrik.
Kölnisch Wasser-Fabrik 4711 in Ehrenfeld. Arch.: Wilhelm Koep 1950-62.
Weltgeltung hat in der Region Köln die Chemische Industrie. Das gilt besonders für das Bayerwerk Leverkusen. Zwei weitere Großzentren der chemischen Industrie befinden sich in Wesseling und Hürth. Auch im Stadtgebiet von Köln gab es eine erstaunliche Vielfalt chemischer Betriebe. Die Sidol-Werke in Köln-Braunsfeld haben uns einen herausragenden Fabrikbau im Stil der „Neuen Sachlichkeit“, 1928 von Otto Müller-Jena entworfen, hinterlassen. Es gab einige Produktionsorte der Gummiverarbeitung. Die Gummifädenfabrik Kohlstadt an der Deutz-Mülheimer-Straße zeigt eine Backsteinarchitektur auf dem Weg zur Moderne und die Rheinischen Gummiwerke Franz Clouth in Nippes wurden nach starken Kriegsschäden als Fabrikstadt der 1950er Jahre erneuert. Gummi und Parfum haben die Gemeinsamkeit, dass beide Produkte auf Naturerzeugnissen basieren, heute aber berechtigter Weise zur chemischen Industrie gerechnet werden. Die Kölnisch-Wasser Fabriken von Farina und Muelhens gehören zum tief-verwurzelten Selbstverständnis der Stadt Köln. Die Stammhäuser von Johann Maria Farina und Ferdinand Muelhens und die 4711-Fabrikanlage an der Venloer Straße sind Zeugnisse einer zwar vergleichsweise kleinen aber doch sehr stark im öffentlichen Bewusstsein weit über die Stadt hinaus verankerten industriellen Tätigkeit in Köln.

Ford-Werke Köln. Bürotrakt und Kesselhaus als Dominante am Rhein.
Einen Höhepunkt in Industriegeschichte und Industriearchitektur bieten die Ford-Werke in Köln-Niehl. Das von Henry Ford begründete und nach ihm unter dem Namen Fordismus in die Geschichte eingegangene Fabriksystem beeinflusste mit der Fließfertigung alle Industriebranchen. Schon in den USA zählten die Ford-Fabriken bei Detroit zu den wichtigen Beiträgen der Industrie zur Architekturgeschichte. Auch in Köln entstand mit den von Edmund Körner errichteten Bauten für die deutsche Dependance von Ford ein wichtiger Beitrag zur Architektur der „Neuen Sachlichkeit“ in Deutschland.

Kraftwerk der Stadt Köln in der Neustadt-Süd, Zugweg.
Schließlich sei erwähnt die im Rheinland zu besonderer Blüte emporwachsende Stromindustrie. Schon das 1890 entstandene städtische Kölner Kraftwerk am Zugweg war als Wechselstromkraftwerk eine technische Meisterleistung und beeindruckte durch anspruchsvolle Architekturformen im Stil des Historismus wobei diese Architektur zugleich auch Leistungskraft und Bedeutung der Bürgerstadt Köln demonstrieren sollte. Als Köln 1912 mit der Braunkohlenindustrie einen Stromliefervertrag abschloss war dies die Grundlage für monumentale Kraftwerksbauten bei Bergheim und Hürth als exemplarische Fabriken der Moderne. Köln blieb bis heute mit den Verwaltungsbauten der Braunkohle das Zentrum des rheinischen Braunkohlenbergbaus.

Überlieferung der Industriekultur in Köln und seiner Region
Der Umgang mit Industriezeugnissen lässt in mehreren Fallgruppen darstellen, so dass sie eine Art Typologie des industriellen Wandels darstellen ließe.

Entgegen einer weit verbreiteten Skepsis gelang es in der Vergangenheit mehrfach, Industriebauten schon dann durch die Eintragung in die Denkmalliste zu schützen, wenn sie noch in die Produktion eingebunden sind. Die prominentesten Beispiele in Köln und seiner Region sind Ford und das Bayerwerk Leverkusen. Man könnte diese Großanlagen ergänzen durch eine beachtliche Liste kleinerer Werksbauten.

Überwiegend museal genutzt: das Verwaltungsgebäude der ältesten Kölnisch-Wasser Fabrik Farina.
Dazu kommt etwa eine handvoll Objekte, die in Köln in musealer Weise erhalten sind, wie das Straßenbahndepot Thielenbruch, das Bahnbetriebswerk Nippes und das Farina-Haus.

Flächensanierung in Köln: Das Gelände der Chemischen Fabrik Kalk.
Chemische Fabrik Kalk.
Einziges auf dem Gelände der Chemischen Fabrik Kalk erhaltenes Bauwerk: der Wasserturm nun als Teil eines Einkaufszentrums mit Parkpalette.
Spektakulär und stark im öffentlichen Bewusstsein verankert sind die Flächensanierungen. Aus Sicht der industriekulturellen Überlieferung wäre zu unterscheiden in Flächensanierungen mit und ohne Erhaltung von Industriebauten. Für Flächensanierungen mit vollständigem oder weitgehenden Abbruch der alten Anlagen stehen folgende Kölner Beispiele: CFK-Gelände in Kalk, Güterbahnhof Gereon = Mediapark, Maschinenfabrik Bayenthal = Wohnpark Bayenthal. Flächensanierung als substanzorientierte Stadterneuerung mit Erhaltung bemerkenswerten Restsubstanz gibt es in Köln auf dem Hagen-Gelände, Gasmotorenfabrik Deutz, Maschinenfabrik Humboldt/Kalk.

Bauen ohne Bestand
Das Gelände der Chemischen Fabrik Kalk(CFK) bot scheinbar keine historisch wertvollen, also erhaltenswerte Bauten. Überall anzutreffende, unscheinbare Gebäude besiedelten die Fläche. Sodafabrik, Düngemittelhalle und Wasserturm bildeten die Ausnahme. Aber warum stehen lassen, wenn es sich ökonomisch einfacher rechnet sie abzubrechen. Die Betonung liegt hier auf einfacher, nicht auf besser rechnen. Der größte Feind historischer Gebäude ist neben einer gewissen Arroganz gegenüber scheinbar banaler Gebrauchsarchitektur vor allem die Unsicherheit im Businessplan. Die Kalkulation von Abbruchkosten plus Neubaukosten im Verhältnis zu lageüblichen Gewerbe- oder Wohnungsmieten ist selbst für den hier in Kalk dominant aufgetretenen Flächensanierer, die Stadtsparkasse zu lösen. Als Feigenblatt erhält man einen sinnentleerten, kaum nutzbaren Wasserturm der so sexy ist wie der letzte Zahn im Mund eines Obdachlosen. Die CFK Kalk steht heute leider nicht mehr für den wirtschaftlichen Aufschwung des rechtsrheinischen Kölns, sondern als Paradebeispiel für einen zwar wirtschaftlich kalkulierbaren, jedoch identitätsleeren Städtebau ohne Geschichte und ohne Zukunft.

Private Investitionen in historische Industriebauten in Köln
Geschichten von der Schäl Sick

Die drei Hauptinvstoren im Industriegebiet Mülheim-Nord: Gottfried Eggerbauer, Bernd Odenthal und BEOS AG.
In Köln gibt es eine Reihe interessanter Beispiele der Erhaltung von Industriebauten durch private Investitionen. Die etwas älteren Beispiele liegen in Ehrenfeld, die eindrucksvollen jüngsten Umbauten gibt es in Mülheim an der Schanzenstraße.

Zum Sektor der Privatumbauten gehören auch die Minimal-Konversionen.

Wegweisend und für die Erhaltungsbestrebungen in der Industriedenkmalpflege sehr hoffnungsvoll stimmend sind die Privatinvestitionen besonders in Köln-Mülheim.

Aus langjährigem Umgang mit historischen Industriebauten lassen sich einige grundsätzliche Überlegungen ableiten, die hier vor Konkretisierungen an Beispielen in den Kölner Nachbarstadteilen Kalk und Mülheim an den Anfang gestellt seien.

Bauen mit Bestand
Siloturm der Fabrik für feuerfeste Steine Martin & Pagenstecher an der Schanzenstraße mit Neubau.
Bauen im Bestand unterscheidet sich von Bauen mit Bestand deutlicher als es der Austausch einer Präposition vermuten lässt: Bauen im Bestand beschreibt eine Haltung des Nebeneinander: hier der Bestand, dort der Neubau. Beide Teile stehen selbstreferenziell nebeneinander, sie kommunizieren nicht, sie stehen jeder für sich in einer eigenen Welt, einer eigenen Epoche: Dort die Gründerzeit, hier das 21. Jahrhundert. Die gründerzeitliche Entwurfsidee bleibt gründerzeitlich und erhält einen heutigen Nachbarn. Der aus diesem Entwurfskonzept schimmernde vermeintliche Respekt vor dem Schaffenden des Vorhandenen könnte aber auch ein Desinteresse sein. Das Vorhandene auf den Sockel des Unantastbaren, des Musealen, zu heben ist eine besondere Form des Desinteresses: der Kritiklosigkeit.

Bauen mit Bestand steht für ein kritisches Miteinander der Entwurfshaltungen. Es will eine Einheit schaffen zwischen dem Vorhandenen und dem Neuen. Im besten Falle verschmilzt das Beste des Bestands mit dem Besten des Neuen. Bauen mit Bestand übersetzt eine bis ins 19. Jahrhundert übliche Technik des Bauens in eine Planungstechnik. Vor dem Einsatz schwerer Maschinen haben Architekten, Bauherrn und Handwerker immer versucht, Materialien aus dem vorhandenen zu nutzen: man könnte dies als Direkt- Recycling bezeichnen. Stand beispielsweise eine Wand einer alten Scheune an einer ungefähr passenden Stelle plante man den Neubau des Wohngebäudes so, dass diese – aber eben nur diese eine Wand – stehen bleiben konnte. Dies sparte Mühen und Material, also Zeit und Kosten, jedoch nur unter der Bedingung, dass der Planer bereit war, seine Neubauplanung an solche Relikte anzupassen. Diese Planungstechnik verschwand einerseits mit den neuen Möglichkeiten der Abbruchtechniken, andererseits aber auch mit den Anforderungen aus Normen und Rechtsprechungen zu Haftungsfragen. Direkt- Recycling war aber nicht nur ökonomisch und ökologisch sinnvoll, sondern kann auch als Entwurfsmethode dienen.

Bauen mit Bestand
E-Werk Köln. Das Elektrizitätswerk der ehemals selbständigen Stadt Mülheim an der Schanzenstraße wurde substanzorientiert umgebaut. In der Trauffassade sind die ehemaligen Metallsprossenfenster erhalten.
Auch das Industriegelände an der Schanzenstrasse in Köln-Mülheim bot scheinbar wenig erhaltenswerten Bauten. Einfache Gebäude in der Architektursprache ihrer Zeit besiedelten die Fläche. Das Mülheimer E-Werks, die Monumentalbauten von Felten & Guilleaume an der westlichen Schanzenstraße, einige weitere Fabrikbauten entlang der Straßen, vielleicht auch die zur Kabelproduktion(Kabelwerk III) errichtete Bogenhalle aus den 50-er Jahren bildeten eine Ausnahme. Im Unterschied zum CFK- Gelände stehen sie aber alle noch, die Blechhallen aus den 80-er Jahren genauso wie die einfachen Lagerschuppen aus der Zwischenkriegszeit. Keines davon war ein architektonischer Meilenstein und doch hat das Gebiet in der Design- und Medienszene nun einen Ruf um den RTL in der Hülle der Kölner Messe auf ewig erfolglos kämpfen wird. Viele der Bauten an der Schanzenstraße wurden zwischenzeitlich international publiziert und ausgezeichnet.

Was ist Erfolgsrezept?

Harley-Davidson an der Schanzenstraße.
Das Erfolgsrezept ist eine langsame Entwicklung des Gebietes. Aus rein wirtschaftlichen Überlegungen heraus wurden die leer stehenden Bauten eben nicht abgebrochen, sondern solchen Nutzungen zugeführt, die keinen Anspruch an Schönheit hatten. Dies waren in erster Linie kleine Produktionsbetriebe und Werkstätten wie zum Beispiel Druckereien oder Lagerflächen für Speditionen und Großhändler. Aber auch Mieter die man sonst ungerne sieht, fanden ihren Platz: Harley- Davidson konnte seine bekannt lauten Maschinen hier problemlos anbieten und reparieren. Ähnlich verhielt es sich mit religiösen Nutzern, etwa einem Hindu-Tempel. Alle diese Mieter waren nur an zwei Dingen interessiert: ungestört ihrer Arbeit nachgehen und dafür eine kleine Miete zu entrichten. Nicht interessiert waren sie an Industriedenkmälern. Der Umgang mit den Gebäuden war dementsprechend: Die tragenden Strukturen wurden immer belassen, die Innenräume möglichst funktional und billig aufgeteilt.

Kupferwalzwerk von Felten & Guilleaume nach dem Umbau für eine Büronutzung.
Kabelfabrik 3 von Felten & Guilleaume nach Umnutzung zur Versandbuchhandlung.
Ofenhalle der Fabrik für feuerfeste Stein Martin&Pagenstecher nach Umbau für Bürozwecke.
Die Mieter der zweiten Generation unterschieden sich in einem Punkt: sie kamen wegen der Industriearchitektur. Preiswerte Mieten suchten sie jedoch auch. Architekten, Fotographen und Designer suchten Flächen mit einem anderen Charakter und nahmen für bezahlbare Mieten auch die zweitklassige Lage in Kauf. Diese Mieter suchten das Ausgefallene. Die Umbauten der Gebäude für diese Mieter waren eher Freilegungen: Großraumbüros entstanden. Aber auch hier wurden – schon aufgrund der geringen Rendite – die wesentlichen Strukturen der Gebäude nicht angetastet.

Für die dritte Generation der Mieter – die Vollzahler – konnten nun andere Investitionen getätigt werden. Vorallem aber: es war kein Zeitdruck vorhanden, denn die meisten Flächen waren ja bereits vermietet. Die Umbauten für die neuen Mieter konnten also maßgeschneidert erfolgen und genau das ist das Erfolgsrezept der Schanzenstrasse: von engagierten Architekten maßgeschneiderte Mietflächen. Entscheidend für den Erfolg war es aber, dass nicht jeder potentielle Mieter auch ein Mieter wurde. Und dies lag nicht an mangelnder Bonität, sondern auch daran wie stark man die vorhandene Architektur für ihn hätte verfremden müssen.

Erst in mehreren Anläufen konnte der richtige Mieter für die 1926 für die Produktion feuerfester Stein von Martin & Pagenstecher erbauten Ofenhalle gefunden wurde. Nämlich jener Mieter, der bereit war, den zweigeschossigen Mittelteil der Halle nahezu ohne Nutzung zu belassen. Das man für eine architektonisch wertvolle, aber nutzlose, leere Mitte Miete entrichtet ist nur wenigen Mietern nahezubringen.

Und deshalb besteht die schwierigste Aufgabe im Umbau großformatiger Industriearchitektur darin, die Raumwirkung nicht vollends zu zerstören und trotzdem dem üblichen Wunsch nach kleinteiligen Büros verwirklichen zu können. Da dies dem in diesem Sektor der Schanzenstraße als Investor mehrfach tätig werdenden Gottfried Eggerbauer mit wechselnden Architekten immer wieder gelang, ist das Gelände nördlich der Schanzenstrasse heute ein Paradebeispiel für einen erfolgreichen Wandel von einer Industriebrache zu einem Medienstandort. Dass dabei aus historischen Industriebauten Büroflächen wurden und das dies nicht ohne Verluste an historischer Substanz und Raumwirkungen zu bewerkstelligen war ist richtig. Wie hoch diese Verluste einzuschätzen sind ist jedoch abzuwägen, denn die Alternative zur Umnutzung ist die Nichtnutzung und der daraus unweigerlich folgende Komplettabbruch.

Umnutzung oder Denkmal?
Industriebrachen heutigen Nutzern anzueignen erscheint zuweilen als unwürdiger Eingriff in die Erscheinungsbild und Substanz inzwischen hochgeschätzter Industriedenkmale. Aber auch wenn man weniger architektonisch ambitionierte Sanierungen heranzieht als jene in der Schanzenstrasse, wird man vielfach erkennen, dass diese Aneignungen dem Bestand kaum schaden.
Die grundsätzlichen Strukturen solcher Bauten sind meist so dominant, dass selbst grobschlächtige Umbauten die Substanz kaum gefährden. Und der Erhalt der Substanz ist Grundstein für spätere Umbauten und Sanierungen. Hier, wie auch in anderen Bereichen der Denkmalpflege erweist sich als richtig: die Aneignung von Industriearchitekturen durch heutige, wirtschaftliche erfolgreiche Nutzungen kann ein mindestens gleichwertiger Schutz sein, wie die Aufnahme dieser Bauten in die Liste der Denkmäler.