Klärwerk Krefeld
Rundweg 20


Christoph Becker
Das städtische Klärwerk in Krefeld-Uerdingen



Kontext


Luftbild
Die Abwasserentsorgung der wachsenden Städte war seit dem 19. Jahrhundert weltweit ein enormes zu lösendes Problem. Nachdem in Hamburg nach dem großen Brand der Stadt 1842 die erste modernen Kanalisation Europas vom dort lebenden englischen Ingenieur William Lindley erstellt wurde, entwarf er auch für Krefeld 1874 die erste moderne Kanalisation, wie auch für viele andere Städte Europas, darunter Düsseldorf, Chemnitz, Basel, Jassay, Galatz, Braila, Elberfeld, Prag, Budapest, St. Petersburg und Warschau.

Um die Wende zum 20. Jahrhundert entwickelte sich die mechanische Abwasserreinigung, die sich vor allem in Deutschland, aufgrund der großen Wassermengen von Vorflutern wie Elbe und insbesondere Rhein, stark durchsetzte. Hauptziel hierbei war eine ästhetische Reinigung des Abwassers vor dessen Einleitung in ein großes Fließgewässer. Dabei spielten ästhetische Fragen und erste Umweltschutzgedanken eine genauso große Rolle, wie die Belastung der flussab liegenden Abschnitte und Gemeinden die den Fluss auch als Trinkwasserquelle nutzten, aber auch die Bedeutung für die Fischerei. Zu den mechanischen Reinigungsverfahren zählte insbesondere der Einsatz von Rechen, die nach dem Prinzip einer Harke funktionieren und Schmutzstoffe aus dem Wasser entfernen. Es wurde auch mit rotierenden Sieben oder dem Einsatz von Absetzbecken, in denen die Fließgeschwindigkeit so weit reduziert wird, dass sich Schwebstoffe am Boden absetzen können, experimentiert. 

Mechanische Abwasserreinigung

Im Krefelder Klärwerk wurde das Abwasser mit einem Siebbandrechen fein gereinigt, die feingliedrigen Rechenzinken hatten hier 6mm Abstand. Die Art des mechanisch angetriebenen Rechens zur Aufnahme des groben Klärgutes sind heute noch in allen Kläranlagen weltweit als erste von mehreren Reinigungsstufe im Einsatz. Kein Exemplar der historischen mechanischen Rechen ist erhalten, aber er ist anhand von Zeichnungen und eingereichten Patenten gut dokumentiert.

Künstlerische Gestalt der Architektur und Konstruktionsweise

Außenansicht mit markanten Jugendstil-Details
Das Klärwerk Krefeld ist in einem nahezu "organischen" Jugendstil, der sich in der gesamten Formung des Gebäudes zeigt, gehalten. Es zeigt exemplarisch, dass der Jugendstil als Ausgangspunkt der architektonischen Moderne eine große Rolle im Rheinland spielte. Nationale und internationale Künstler waren entweder in Krefeld tätig, standen in engem Diskurs mit der Stadt und ihren Institutionen oder wurden dort rezipiert. Beispielhaft seien Henry van der Velde, Thorn Prikker, Peter Behrens genannt. Der Entwurfsverfasser selbst, Architekt Georg Bruggaier, war städtischer Angestellter im Hochbauamt der Stadt. Wer die künstlerische Vorlage erstellte, ist bisher noch unbekannt.

Eingang, Giebel und Dachreiter
Eingang, Giebel und Dachreiter
Das Krefelder Klärwerk ist daher ein früher und qualitätvoller ästhetischer Beleg für den monolithischen Eisenbetonbau in Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Ziel für die Errichtung des Krefelder Klärwerks ist offenbar die Erschaffung großer stützenfreier gut belichteter und belüfteter Räume gewesen. Das Krefelder Klärwerk mit seiner gut sichtbaren, nahezu inszenierten Eisenbetonkonstruktion ist konstruktionsgeschichtlich eine repräsentative Momentaufnahme, die zeigt, dass der Eisenbetonbau regional, national und international zu dieser Zeit eine herausragende Rolle spielte. Als konstruktiv vergleichbare Bauten sind im Rheinland u.a. der Getreidespeicher Siebengebirge im Kölner Rheinauhafen von 1907, das ab 1908 realisierte Straßenbahndepot in Düsseldorf-Bilk, der Getreidespeicher der Crefelder Lagerhausgesellschaft Schou im Krefelder Industriehafen von 1911 anzuführen.

Eingang, Giebel und Dachreiter
Auch auf die Innenausstattung des Klärwerks wurde großes Augenmerk gelegt. Sie war durch die Verwendung bester Materialien auf perfekte Funktion und Langlebigkeit ausgelegt. Sämtliche Gebäudeteile sind mit Lavabasaltsockeln ausgestattet, die Innenwände mannshoch mit besonders widerstandsfähigen Kacheln der Firma Kahla aus Thüringen belegt, der Fußboden und das Gleisbett der Lorenbahn in der Klärhalle besteht aus Terrazzo mit abgesetzten Marmor-Mosaik-Steinen.   

Einordnung in regionale Infrastrukturprojekte der Industrialisierung 

Das Krefelder Klärwerk zeugt davon, dass die Stadt Krefeld Anfang des 20. Jahrhunderts ihre wirtschaftlich schwierig gewordene Lage in der Seiden- und Tuchindustrie durch die Investition in weitreichende Infrastrukturprojekte und Ansiedlung neuer Gewerbe überwinden wollte. Unter der Leitung von Stadtbaurat Beigeordneter Hubert Hentrich wurde diese Ziele dann auch zielstrebig und mutig in Angriff genommen. Zu den ambitionierten Projekten zählten der Bau eines eigenen neuen Industriehafens samt Drehbrücke, städtischen Lagergebäuden direkt am Rhein, einer stadteigenen Eisenbahn als früher bimodaler Übergabepunkt Schiene / Wasser und dem Anschluß des Hafens an die im Hinterland gelegene Stadt, der Bau des Krefelder Hauptbahnhofs (1907) mit der Hochlegung der Gleiswege zur Entflechtung und Optimierung des Verkehrs aber auch das Klärwerk und ein neuer Auslasskanal zum Rehin. 

Im Klärwerk mussten sowohl die Abwässer der gesamten Stadt, als auch des neuen Industriehafens und zukünftiger dortiger neuer Gewerbe aufgenommen werden können. Parallel und hintergründig dazu verfolgte Hubert Hentrich, ausgewiesener Wasserbauingenieur und Experte für Kanalprojekte, im Namen der Stadt ehrgeizige Pläne für den Rhein-Maas-Schelde Kanal von Krefeld bis Antwerpen weiter, der Krefeld zu einem wichtigen Drehkreuz des nationalen und internationalen Güterverkehrs machen sollte. Das moderne und leistungsfähige neue Klärwerk der Stadt wurde daraufhin für bis zu 450.000 Einwohner-Gleichwerte ausgelegt, obwohl Krefeld zu Baubeginn gerade mal 110.000 Einwohner zählte.



Links

Verein zum Erhalt des historischen Klärwerks in Krefeld Uerdingen e.V.