Mit Vertragsschließung am 14. 12. 1845 zwischen Ferdinand van der Zypen aus Lüttich und Albert Charlier aus Köln wurde unter dem Namen Eisenbahnwagen- und Maschinenfabrik van der Zypen & Charlier eine der frühesten deutschen Eisenbahnwaggonfabriken gegründet. Ferdinand van der Zypen besaß in Lüttich eine Karosseriewerkstatt für Postkutschen und der Kaufmann Albert Charlier betrieb einen Eilgutdienst von der belgischen Grenze nach Köln und weiter den Rhein hinauf. Die Gefährdung beider Unternehmen durch die Eisenbahn führte zur Umsiedlung der Karosseriefabrik van der Zypens von Lüttich nach Köln und deren Umwandlung in eine Waggonfabrik. Da Ferdinand van der Zypen keine deutsch sprach kam es zu der geschäftlichen Verbindung mit Albert Charlier, dessen Vater schon zuvor mit der Firma van der Zypen geschäftlich verbunden war.
Schon im Januar 1846 konnte der Betrieb in der links der Deutz-Mülheimer-Straße erbauten Fabrik eröffnet werden. Der Standort wurde in der Hoffnung auf einen direkten Eisenbahnanschluss an die Köln-Mindener Eisenbahn gewählt. Als die Eisenbahn ihre Trasse weiter östlich als geplant realisierte, blieben Van der Zypen & Charlier bei dem gewählten Standort. Die fertig gestellten Waggons mussten umständlich mit Pferdefuhrwerken zum Bahnhof Deutz transportiert werden.
In den Anfangsjahren blieben allerdings die Aufträge der Eisenbahngesellschaften aus. Das Unternehmen verlegte sich auf eine Vielzahl anderer Produkte: Postkutschen, Maschinen, Dampfkessel, Werkzeugmaschinen, Einrichtungen für Zucker- und Papierfabriken, Hebekrane, Drehscheiben, Weichen, kleinere Brücken und Bahnhofshallen.
2 Die Gründungsanlage bestand aus Schmiede, Gießerei und Stellmacherei. Etwa 100 Arbeiter waren dort seit 1845 beschäftigt. Zehn Jahre später waren schon 400 Mann auf dem Werksgelände tätig und 1865 hatte das Unternehmen 600 Beschäftigte. Mit sechs Dampfmaschinen und 100 Werkzeugmaschinen wurden Güterwaggons, Drehscheiben, Brücken, Laufkräne, Weichen, Wasserversorgungseinrichtungen und Signalanlagen hergestellt. Die Eisengießerei lieferte Gussteile aller Art, auch die für Industrie- und Zweckbauten so wichtigen Gusseisenstützen. Ferdinand van der Zypen hatte aus Lüttich viele Landsleute mitgebracht. Es entstand eine frühe Arbeitersiedlung an der Julius- und Gaußstraße mit Reihen- und Vierhäusern. Van der Zypen erbaute für sich selbst auf einem großen, bis zum Rhein reichenden Gartengrundstück eine Villa mit markantem Turmbau. Von der leider nicht erhaltenen Villa zeugt noch die repräsentative Grundstückseinfriedung mit Mauerwerkspfeilern aus Naturstein und aufwändig geschmiedeten Zaun- und Toranlagen (neben der Hauptverwaltung der Gasmotoren-Fabrik Deutz, Deutz-Mülheimer-Straße 147-149).
In den 1920er Jahren konnte Van der Zypen & Charlier an die gute Entwicklung der Vorkriegszeit anknüpfen. Mit dem Aufkommen der Kohlestaubfeuerung in den Kraftwerken wurde als weiteres Spezialprodukt der Kohlestaubwagen entwickelt. Weiterhin wurden Straßenbahnwagen, Omnibusse und Kraftwagenanhänger hergestellt. Seit 1928 verließen das Werk die berühmten Pullmann-Waggons der 1. und 2. Klasse für den Rheingoldzug.
Wegen der in der Waggonindustrie insgesamt schlechten Wirtschaftslage kam es 1927/28 zur Fusion mit den Firmen Düsseldorfer Eisenbahnbedarf, vorm. Carl Weyer & Co. und Waggonfabrik Killing & Sohn in Hagen. Unter dem Namen Westwaggon trat 1928 auch die Gebr. Gastell in Mainz der Fusion bei. Die Hauptverwaltung des Unternehmens war in Deutz.
Nach schweren Kriegsschäden mit einem Zerstörungsgrad von 60-70% und kurzzeitiger Stilllegung im Februar 1945 wurde die Produktion schon im April 1945 wieder aufgenommen. 1949 arbeiteten wieder 1317 Beschäftigte im Werk. Geboren aus einem Mangel an Aufträgen wurde 1953 ein Organvertrag mit Klöckner-Humboldt-Deutz geschlossen, der 1959 zur vollständigen Fusion führte. Ein knappes Jahrzehnt später kam es 1967 zur Einstellung der Waggonproduktion an einem Standort, der mit seinen Produkten mehr als 120 Jahre lang Eisenbahnwesen und öffentlichen Nahverkehr prägte.
Zentral im Werksgelände gelegen soll eine vierschiffige Halle und der Magazinbau von 1909/10 den Waggonbau in Deutz dokumentieren.
Schmiede und Preßwerk(Waggonhallen = Schwebebahnhallen), um 1888/ um 1905
Die benachbarten Hallenschiffe sind vermutlich um 1905 in der Zeit, als das Unternehmen mit dem Übergang zum Bau reineiserner Personenwagen eine große Produktions- und Bauphase erlebte entstanden. Die Werksansicht Scheiners von 1909 und ein Lageplan von 1908 zeigt die Halle in voller Ausdehnung. Veränderungen ergaben sich im konstruktiven Gefüge und im äußeren Erscheinungsbild vor allem im hinteren (westliche) Hallenbereich.
Wie in der Werksansicht von Scheiner bietet auch heute noch im äußeren Erscheinungsbild die Ostansicht mit der Reihung von vier großen Backsteingiebeln die Hauptansicht. Das bereits erwähnte älteste Hallenschiff aus der Zeit um 1888 ist mit seinen rundbogigen Öffnungen, den beiden Rundfenstern im Giebeldreieck und den Wandvorlagen und Ortganggesims besonders eindrucksvoll. Die begleitenden Hallengiebel sind verändert, weisen aber im Prinzip noch die Merkmale der Ursprungsarchitektur auf.
Neben ihrer historischen und städtebaulichen Bedeutung ist besonders die Innenkonstruktion der Hallen 229 und 230 bedeutend. In beiden Hallenschiffen stehen mittig eine Reihe hoher Gusseisenstützen. Die unter der Firstlinie angeordneten Gussstützen tragen über einem kurzen, an den Kopfenden profilierten Konsolbalken die hölzernen Dachstühle. Für jede Hallenhälfte gibt es eine Art liegenden Dachstuhl, der die Pfetten für die Dachdeckung trägt. In gerader Linie über den Gusseisensäulen erheben sich hölzerne Ständer, die sich im Firstbereich mit Kopfbändern geradezu baumartig verzweigen und eine hohe Belichtungsraupe tragen.
Die Hallenschiffe sind überwiegend durch Seitenwände nicht untereinander getrennt. Kräftig dimensionierte Ständer und Unterzüge dienen als Auflager für die Dachbinder im Traufbereich. Die Dächer der seitlichen Hallen sind als genietete und geschraubte Stahlkonstruktionen entstanden. Die Westgiebel in Stahlfachwerkkonstruktion stammen vermutlich aus der Nachkriegszeit.
Magazin, 1909/1910
Im Inneren wird das Magazingebäude geprägt durch die Stahlbetonskelettkonstruktion, besonders aber durch einen die Dreiecksform des Gebäudes nachzeichnenden großen Lichthof. Die Geschosse öffnen sich zu diesem Lichthof mit den erhaltenen originalen Brüstungsgittern wie Galerien, wobei die Geschoßdecken in den spitzwinkligen Eckbereichen gerundet sind. Über dem Lichthof werden die Dachbinder im Mittelpunkt des Gebäudes sternförmig zusammengeführt. Das dreieckige Mittelfeld ist verglast. Die übrige Dachdeckung besteht aus Holzschalung mit Teerpappe.
Die Stahlbetonkonstruktion gleicht dem um 1890 entwickelten System Hennebique. Entsprechend der statischen Belastung sind die Stützen im Erdgeschoß kräftiger ausgebildet auf Achteckgrundriss, während die Stützen in den Obergeschossen quadratische Querschnitte haben. An die Stützen sind die Unterzüge mit kopfbandartigen Verstärkungen im Stützenbereich ausgebildet. Es gibt stärkere Haupt- und schwächere Nebenunterzüge.
Die Waggonindustrie war eine der vom Eisenbahnwesen direkt hervorgerufenen neuen Branchen der weiterverarbeitenden Industrie. Anders als bei dem indirekten Einfluß der Eisenbahn auf die Entwicklung von Steinkohlenbergbau, Kokserzeugung und die Eisen- und Stahlindustrie zeigt sich hier die enorme entwicklungsgeschichtliche Bedeutung dieses Transportmittels für die Industrie.
Von herausragender verkehrs- und industriegeschichtlicher Bedeutung sind die Reste der Schwebebahn-Probestrecke von 1893. Eugen Langen hatte als Direktor der benachbarten Gasmotorenfabrik Deutz seit 1892 an einer Hängehochbahn für Personenbeförderung gearbeitet. Im Januar 1893 wurde die Bahn beim kaiserlichen Patentamt in Berlin zum Patent angemeldet und zugleich auf dem Gelände der Waggonfabrik van der Zypen & Charlier eine Probebahn angelegt. Die Patente für ein- und zweischienige Ausführungen der Hängebahn wurden 1893 und 1895 erteilt. Nach Besichtigung der Versuchsstrecke in Deutz entschieden sich die Städte Barmen und Elberfeld im Dezember 1894 für den Bau einer 13,3km langen Strecke durch das Wuppertal bis nach Vohwinkel. Trotz intensiver Bemühungen die Hängebahn auch in anderen Städten (Hamburg, Berlin, Köln) zu realisieren blieben die 1898 bis 1903 ausgeführte Wuppertaler Schwebebahn neben einer kurzen Bergbahn in Dresden-Loschwitz (1898-1901 – ebenfalls nach Besichtigung der Probestrecke in Deutz) die einzigen ausgeführten Projekte. Die Hängebahn von Eugen Langen und damit auch die Probestrecke in Deutz gehören in Entwicklungsgeschichte der innerstädtischen Nahverkehrssysteme. Die Fragmente der Probestrecke sind von wissenschaftlicher, insbesondere technikhistorischer Bedeutung. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden die Schwebebahnwagen in der Hallengruppe, durch die die Probestrecke führte auch produziert. Da es die ersten reineisernen Waggons überhaupt waren, ist die Hallengruppe auch jener historische Ort, an dem der industriehistorisch bedeutende Wechsel vom Holz zum Eisen im Waggonbau stattfand.
Von hoher industriehistorischer Bedeutung ist auch das Magazingebäude von 1909/1910. Das Motiv zur zentralen Lagerung aller eingehenden Produkte war eine verbreitete Maßnahme zur Rationalisierung der Produktion und Minimierung von Kosten. Verbunden waren mit diesen Magazinbauten der Großeinkauf in Niedrigpreiszeiten, eine exakte Qualitätsprüfung der Eingänge und eine sparsame Vorratshaltung. Die Entstehungsgeschichte des Zentrallagers der Gutehoffnungshütte in Oberhausen nach Entwurf von Peter Behrens zeigen die hohen Erwartungen der Industrie an diesen Funktions- und Bautyp.
Die archtitekturhistorische Bedeutung des Magazins der Fa. Van der Zypen & Charlier besteht in der Verknüpfung einer sachlich gehaltenen Fassadenarchitektur mit einer geradezu spektakulären Innenkonstruktion. Als Betonskelettbau gehört das Bauwerk zu den frühen Betonbauten. Zwar reichen die Anfänge des Betonbaus bis ins 19. Jahrhundert zurück, doch konnten sich diese Konstruktionen erst Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Entwicklung neuer Berechnungsmethoden und der Herausgabe von Bemessungstabellen durchsetzen. Ähnlich wie bei den frühen Eisen- und Stahlkonstruktionen, waren bei den frühen Stahlbetonbauten die Bauteile aus Beton noch lange auf die Innenkonstruktionen beschränkt. Der Magazinbau der Fa. Van der Zypen & Charlier ist wegen der eigentlich anderen Bauaufgaben vorbehaltenen Lichthofsituation (z. B. Kaufhäuser) besonders hervorzuheben. An dieser Stelle ist die von vielen Vertretern der Klassischen Moderne in den 1920er Jahren als vorbildhaft und stilbildend bezeichnete Ästhetik des sachlichen Industriebaus nachvollziehbar.
100 Jahre Van der Zypen & Charlier 1845-1945, Mainz o.J. Goldbeck, Gustav: Kraft für die Welt. 1864-1964 Klöckner-Humboldt-Deutz AG, Düsseldorf/Wien, 1964
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