Bayerwerk Leverkusen
Leverkusen, Kaiser-Wilhelm-Allee 1

Walter Buschmann
Bayerwerk Leverkusen


Gründungsanlage: Ultramarinfabrik Leverkus

Das Bayerwerk im heutigen Leverkusen geht zurück auf die Gründung einer Ultramarinfabrik durch Carl Friedrich Wilhelm Leverkus (1804-1889). Leverkus hatte nach einem Studium der Pharmazie, Chemie und Sodafabrikation 1833 in Wermelskirchen eine chemische Fabrik zur Herstellung von Ultramarin errichtet. 1863/64 verlagerte er die Produktion aus dem verkehrstechnisch ungünstig gelegenen Wermelskirchen an den Rhein auf ein Grundstück zwischen Flittard und Wiesdorf und gliederte1874 der Ultramarinfabrik eine Alizarinfabrik an. Das Werk wurde mit seiner Entstehung nach der Gründerfamilie benannt, wie schon der gleichnamige Weiler bei Lennep, aus der die Familie stammt.


Ursprünge der Bayer AG in Barmen und Elberfeld

Friedrich Bayer hatte 1863 zusammen mit dem Färber Friedrich Weskott in Barmen-Rittershausen (heute ein Stadtteil von Wuppertal) und Elberfeld eine Farbenfabrik gegründet, die in den 1880er Jahren im engen und relativ dicht bebauten Tal der Wupper ernsthafte Probleme der Weiterentwicklung hatte. Auf der Suche nach einem neuen Standort stieß die Firma 1891 auf die Ultramarin- und Alizarinfabrik des 1889 gestorbenen Carl Leverkus. Die Erben des Firmengründers verkauften 1891 die Alizarinfabrik an die inzwischen (1881) zur Aktiengesellschaft umgewandelte Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. und schon im gleichen Jahr begann die Verlagerung von Produktionsteilen aus Elberfeld nach Leverkusen. Vom Verkauf nicht betroffen war die Ultramarinfabrik, die noch bis 1924 unabhängig betrieben wurde und erst dann in das Bayerwerk einverleibt wurde.

In der baulichen Entwicklung des Werkes lassen sich mehrere Perioden unterscheiden: die Anfangsjahre 1892 bis 1895, die Zeit nach Duisbergs Denkschrift 1895 bis 1918, die Entwicklung im Zeichen der Interessengemeinschaft bzw. der I.G.-Farbenindustrie AG 1918 bis 1945, die Nachkriegszeit 1945 bis heute.


Duisberg, Blatzheim, Girtler und Ritter

Aufbau und Entwicklung des Leverkusener Werks wurden wesentlich von Carl Duisberg geprägt. Duisberg war seit 1884 in Elberfeld für das Unternehmen als Chemiker tätig und wurde schon bald nach Erwerb der Leverkus'schen Fabrik nach Wiesdorf geschickt, um Fabrik und Werksgelände nach Entwicklungsmöglichkeiten zu untersuchen.

Anknüpfungspunkt für alle Neubauten war die vorhandene von Leverkus geschaffene Anlage, die im Lauf der kommenden Jahrzehnte jedoch völlig beseitigt wurde. Die Anfangsbauten für die Farbenfabriken Bayer in Leverkusen (Anthracen- und Anthrachinonfabrik, Alizarinfabrik, A(nilin)-Fabrik, Wasserwerk, Kraftwerk etc.) waren in ihrer aufwendigen Backsteinarchitektur noch dem älteren Elberfelder Baustil verpflichtet und passten sich auch der formenreichen Architektur der Leverkus'schen Ultramarin- und Alizarinfabrik an. Das bautechnische Büro in Elberfeld leitete der Architekt Heinrich Blatzheim. In Leverkusen war unter der technischen Oberleitung von Ludwig Girtler der Baumeister Carl Ritter tätig. Wie in Elberfeld gab es auch in Leverkusen eine Beratung durch Baurat Bormann aus Elberfeld. Bauten mit Denkmalrang aus der Anfangsperiode sind nicht erhalten. Es gibt einige Bauten, die in ihren Formen noch die Architekturauffassung dieser Zeit zumindest ansatzweise zum Ausdruck bringen: Wasserwerk und Wasserturm, Schwefelsäurefabrik, Schreinerei und Küferei.


Duisbergs Materplan für das Bayerwerk Leverkusen

Einen Wandel in der architektonischen und städtebaulichen Entwicklung des Werkes brachte das im Dezember 1894 ausgearbeitete und im April 1895 in einer Aufsichtsratssitzung vorgestellte Konzept von Carl Duisberg. Die "Denkschrift über den Aufbau und die Organisation der Farbenwerke zu Leverkusen" war und ist das Zeugnis eines geradezu visionären Weitblicks für die chemische Industrie und die Industrieplanung überhaupt mit bleibender Geltung. Duisberg gliederte das Werk und damit auch das Terrain in sieben Abteilungen. Jeder Abteilung wurde ein Bereich des 600 Morgen großen Geländes reserviert, so dass für die folgenden 30 Jahre ausreichend Entwicklungsmöglichkeit vorgesehen war. Jede Abteilung war als selbständige Fabrik unter zentraler Oberleitung konzipiert.

Die beiden der Denkschrift beigefügten Lagepläne sahen ein orthogonales Straßenraster mit fast exakter Ausrichtung der Straßen in Nord-Süd und Ost-West-Richtung vor. Das Gesamtgelände wurde damit unterteilt in Baublöcke mit 30 Meter breiten Haupt- und 15 Meter breiten Nebenstraßen.

Für die Anordnung der Abteilungen im Raster gab es eine streifenartige Struktur: am Rhein die rohstoffabhängigen Säurebetriebe, im folgenden Streifen die Zwischenproduktefabriken, dann die Farbenbetriebe und im östlichen Streifen Versand und Lagerung der Produkte. Die pharmazeutischen Betriebe wurden dem Streifen mit den Farbenbetrieben zugeordnet. Unterbrochen wurde dieser streifenförmige Gesamtaufbau nur durch die noch einige Jahrzehnte bestehenden Leverkus'schen Anlagen. Die eigentliche Schauseite der Werksanlage mit Hauptverwaltung, Casino, Duisberg-Villa und Park wurde nach Süden orientiert, mit einem der beiden Hauptzugänge dem Tor 2 für Beamte, Kunden und Gäste. Für die Arbeiter war das Tor 1 im Osten vorgesehen.

Carl Duisburg äußerte sich auch deutlich zur Fabrikarchitektur, widersprach dem aufwendigen Backsteinstil der voraufgegangenen Anfangsjahre und entwickelte ein ausgesprochenes Sachlichkeitscredo: "Die Gebäude sind geschmackvoll, aber ohne äußere Verzierungen zu bauen und sollen im wesentlichen aus Shedbauten bestehen, bei denen möglichst wenig Trennungswände vorkommen." Die angesprochenen Shedbauten basierten zwar auf dem in der Industrie seit den 1830er Jahren aus England bekannten und seit etwa 1850 auch in Deutschland gebauten, besonders in der Textilindustrie beliebten Bautyp, der nun aber für die Zwecke der chemischen Industrie fortentwickelt wurde. Als Experimentierfeld diente der Standort Elberfeld. Für die Bauten in Leverkusen wurden aus den Erfahrungen in Elberfeld die notwendigen Schlüsse gezogen und die Bauweise optimiert. Neben den Shedbauten entstanden auch einfache Hallenbauten und Stockwerksbauten. Zeugnisse dieser Entwicklungsphase im Produktionsbereich sind: Rektifikation und Naphtalinfabrik, Schwefelsäurefabrik, Schreinerei und Küferei.

Die Oberleitung für alle Bauten hatte der Chef der Ingenieurverwaltung Ludwig Girtler. Carl Duisberg beanspruchte jedoch auch in Baufragen eine maßgebliche Position: "Ich persönlich leitete den Aufbau von Leverkusen, kein Stein wird dort ohne meine Genehmigung gesetzt."


Hauptverwaltung, Villa, Casino

Diesen Einfluss wird Duisberg sicher auch auf die repräsentativ gestalteten Bauten dieses Entwicklungsabschnitts genommen haben, für die auch einige andere Architektennamen überliefert sind: Hubert Amrhein für die Hauptverwaltung sowie M. Simon für Pförtner 1 und Lehr- und Fortbildungsschule. Diese Repräsentationsbauten sprechen eine ganz andere Sprache als die Produktionsbauten und sind noch fest im Wertesystem des 19. Jahrhunderts verankert. Dies gilt insbesondere für die Ausformung der südlichen Schauseite der Werksanlage mit der 1904 bis 1912 entstandenen beeindruckenden Bautengruppe Hauptverwaltung, Duisberg-Villa und Kasino im Zentrum.

1912 zum Generaldirektor des Unternehmens ernannt formulierte Duisberg mit den sich gegenüberliegenden, achsial aufeinander bezogenen Bauten der Hauptverwaltung und der eigenen Villa ein in dieser Form zu dieser Zeit einmaliges Verhältnis zwischen Fabrikherr und Fabrik. Diese Anordnungsform erinnert noch an die patriarchalische Vorstellungswelt des Industriebürgertums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Längst hatte man andernorts diese Idee der Einheit von Fabrikantenwohnsitz und Produktionsstätte aufgegeben. Selten war diese Einheit in derart geometrischer Eindeutigkeit demonstriert worden. Mit dem Abbruch der Duisberg-Villa 1960 ist diese Situation baulich nicht mehr nachvollziehbar. Sie wirkt nach im Gegenüber von Werk und opulenter Parkanlage, die in dieser Form und Größe aus dem ehemaligen Standort der Duisberg-Villa zu erklären ist.

Zum anspruchsvollen Programm der repräsentativen Bauten dieses Entwicklungsabschnitts gehören auch die Lehrlings- und Fortbildungsschule und der Pförtner 1. Auch das 1913 fertig gestellte Wissenschaftliche Hauptlabor direkt hinter der Hauptverwaltung ist hier zu nennen, das jedoch wegen gravierender baulicher Veränderungen nicht mehr als denkmalwert eingestuft wird.

Das Bayerwerk Leverkusen war bis 1913 mit insgesamt 10600 Beschäftigen zum drittgrößten Chemiebetrieb Deutschlands herangewachsen. In Leverkusen waren 7900 Arbeiter und Angestellte beschäftigt. Der wahrhaft gigantische Ausbau des Werkes wird durch das Schaubild von Otto Bollhagen eindrucksvoll wiedergegeben.


1920er

Die Bautätigkeit der 1920er Jahre im Werk Leverkusen stand sehr stark unter dem Eindruck einer neuen Unternehmensorganisation. Die Zusammenschlüsse in der chemischen Industrie Deutschlands wurden wesentlich vorangetrieben durch Carl Duisberg. Schon 1905 war basierend auf einer Denkschrift Duisbergs der Dreibund als Zusammenschluß von Bayer, BASF und Agfa entstanden. Wenig später schlossen sich die Firmen Hoechst, Cassella und 1907 Kalle & Co. zum Dreierverband zusammen. Dies war der Vorläufer der 1916 gegründeten "Interessengemeinschaft der deutschen Teerfarbenfabriken" mit den Firmen des Dreierbundes, sowie Hoechst, Casella, Kalle, der Chemischen Fabrik Griesheim-Elektron und den Chemischen Fabriken vorm. Weiler-ter-Meer in Uerdingen. Es war noch nicht der von Duisberg angestrebt, großangelegte Zusammenschluß der chemischen Industrie in Deutschland, der erst 1925 mit Gründung der I.G.-Farbenindustrie mit Sitz der Hauptzentrale in Frankfurt a.M. entstand. Die Folge war eine Neuordnung von Verkauf und Produktion. In Leverkusen entstand die Verkaufsgemeinschaft Pharmazeutika für den Verkauf von pharmazeutischen und veterinärmedizinischen Produkten sowie Pflanzenschutzmittel. Ab 1934 trugen alle in der I.G. hergestellten Pharmapackungen das Bayer-Kreuz als gemeinsames Warenzeichen. 1933 wurde durch Carl Duisberg das Bayer-Kreuz, das als Großlichtanlage zwischen zwei Kraftwerksschornsteinen hing, eingeweiht. Es wurde zu einem weit sichtbaren Wahrzeichen des Leverkusener Werks. Zwei großartige Bauten an der Kaiser-Wilhelm-Allee und zwar die Tablettenfabrik und die Verwaltung Pharma, beide in anspruchsvollen Architekturformen von Emil Fahrenkamp entworfen, dokumentierten den Kompetenzzuwachs in Leverkusen.

Auch für einen weiteren Produktionsbereich, der Bunaerzeugung wurden um 1930 die Grundlagen gelegt. Leverkusen hatte im Verbund der I.G.-Betriebe zwar keine Hauptposition bei der Herstellung von Buna erworben, konnte aber mit dem Kautschuk-Zentrallabor von 1937 deutschlandweit eine zentrale Position erringen.

In der Werksarchitektur erfolgten um 1920 entscheidende Veränderungen. Seit 1921 war als Nachfolger von Ludwig Girtler der Regierungsbaumeister Richard Hilpert als Chefingenieur in Leverkusen tätig. Unter seiner Regie formulierte Hugo Koschmieder neue Vorstellungen über die Ausgestaltung der Produktionsbauten mit einem Wechsel vom Shedbau zur Satteldach- oder Mansarddachhalle. In den Hallen dienten Bühnen in Stahlkonstruktion zur Aufnahme der Apparaturen. Lichthöfe, Belichtungsaufsätze im Firstbereich und verglaste Dachflächen sorgten für ausreichende Belichtung. Der Cu-Betrieb von 1917 (M 4) darf als Prototyp dieser Bauweise gelten.

In den Architekturformen herrschte ein am Neoklassizismus der Kriegs- und Nachkriegszeit orientierte konservative Architekturauffassung, die erst mit dem 1922-25 entstandenen neuen Kraftwerk (G 11-20) aufgegeben wurden. Der dem Kraftwerk folgende Großbau, die Tablettenfabrik von Emil Fahrenkamp 1928/29 sowie das ebenfalls von Fahrenkamp entworfene Y-Kraftwerk von 1936 ist deutlich der klassischen Moderne verpflichtet und auch noch das Kautschuk-Zentrallaboratorium des Fahrenkamp-Schülers Fritz Kunz von 1937-39 ist diesen Architekturvorstellungen zuzurechnen. Die Verwaltung Pharma 1938 ebenfalls von Fahrenkamp trägt gegen die Intentionen des Architekten jedoch schon deutliche Züge des im NS-Staat auflebenden Traditionalismus. Das Bayerwerk Leverkusen liefert mit diesen Bauten einen wesentlichen und interessanten Beitrag zur Entstehung und Entwicklung der Moderne in Westdeutschland.


Nach 1945

Die Nachkriegszeit im Werk Leverkusen stand stark unter dem Eindruck der Teilung Deutschlands und der Entflechtungsbestrebungen durch die Alliierten. 1950 wurde die Auflösung der I.G.-Farben verfügt und es entstanden 12 Nachfolgefirmen. Am 7. 12. 1951 wurde die Farbenfabrik Bayer AG neu gegründet mit Standorten in Leverkusen, Elberfeld, Uerdingen und Dormagen. Nach der Trennung von den anderen Werken der I.G.-Farben mußte das Unternehmen neue Produktionseinheiten für Produkte schaffen, die bisher von anderen Werken bezogen wurden. Dazu standen in Leverkusen und Köln das Flittarder Feld und in Dormagen große Neubauflächen zur Verfügung. In Uerdingen konnte Gelände dazu erworben werden. Neuartige Produkte wie Kunststoffe oder Chemiefasern wurden in Leverkusen nicht hergestellt. In den fünfziger Jahren vollzog sich aber doch ein tiefgreifender Wandel: statt Kohle wurden Erdöl und Erdgas die wichtigsten Rohstoffe der organischen Chemie.

Ganz anders dagegen verhielt es sich mit dem fotografischen Produkten. Da die Produktionsanlagen von Agfa in Wolfen unter sowjetischer Kontrolle standen, wurde schon 1947 in Leverkusen eine Filmfabrik errichtet. Verwaltung und Lager für die Produkte der als Bayer-Tochtergesellschaft 1952 gegründeten Agfa AG wurden wieder an der Schauseite des Werks im Süden in den charakteristischen Formen der fünfziger Jahre nach Entwurf von Fritz Kunz errichtet.

Das neue Farbenlager 1950 bis 1952 galt als bedeutendstes Bauwerk nach dem Krieg. Auf dem Gebäude entstand 1963 erneut das Bayer-Kreuz als monumentale Großlichtanlage. Die Phase der Nachkriegszeit endete mit dem Abbruch der Duisberg-Villa und dem Bau des Verwaltungshochauses 1960 bis 1963 nach Entwurf von Hentrich, Petschnigg&Partner.


Literatur

• Beiträge zur hundertjährigen Firmengeschichte 1863-1963, Köln o. J. (1964), Jubiläumsschrift 50 Jahre Bayer von führenden Mitarbeitern hg. vom Vorstand der Farbenfabriken Bayer AG
• Geschichte und Entwicklung der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. Elberfeld in den ersten 50 Jahren, Leverkusen 1918 (Böttinger Festschrift)
• Hartnauer, R.: Kunst in Leverkusen. Zum fünfzigsten Jahrestag des Eintritts von Dr. Carl Duisberg bein den Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co.l am 29. September 1933. Plastiken Bauten Gartenkunst; Leverkusen 1933
• Leistikow, Dankwart: Die bauliche Entwicklung des Werkes Leverkusen 1891-1945, Leverkusen 1996/1997
• Pinnow, Hermann: Werksgeschichte. Der Gefolgschaft der Werke Leverkusen, Elberfeld und Dormagen zur Erinnerung an die 75. Wiederkehr des Gründungstages der Farbenwerke vorm. Friedr. Bayer & Co., gewidmet von der IG Farbenindustrie AG
• Plumpe, Gottfried: Die I.G. Farbenindustrie AG. Wirtschaft Technik Politik 1904-1945, Berlin
• Rudolf, Werner/ Militz, Claus: Spuren im Werk. Industriebauten von damals, Heidelberg 1984
• Verg, Erik/ Plumpe, Gottfried: Meilensteine. 125 Jahre Bayer 1863-1988, Leverkusen 1988
• Drekopf, Norbert u.a.: Bayer kommt an den Rhein. Wiesdorf und das Werk 1891-1912, Leverkusen 1991