Hauptbahnhof Solingen
Solingen, Bahnhofstr. 15
Walter Buschmann
Hauptbahnhof Solingen
Eisenbahnnetz im Bergischen Land, 1849. Historische Karte.
Eisenbahnnetz im Bergischen Land, 1863. Historische Karte.
1 Bemühungen um den Anschluss der gewerbe- und industriereichen Stadt Solingen an das entstehende Eisenbahnnetz gab es bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, führten aber wegen der schwierigen topographischen Verhältnisse zunächst nicht zum Erfolg. An die 1841 und 1849 fertiggestellte, von Köln über Elberfeld nach Dortmund führende Linie der Bergisch- Märkischen Eisenbahn war Solingen nicht angeschlossen. Erst 1862 kam es zu einem Vertrag mit dieser Eisenbahngesellschaft über die Strecke Deutz – Haan – Elberfeld mit einer Station in Solingen. Solingen und die Nachbargemeinden brachten 57.000 Taler auf für den Bau der Bahnhöfe und den Grunderwerb für den Gleisbau. 1867 entstand die Zweigbahn Ohligs-Solingen mit dem in ungünstiger Tallage angeordneten Bahnhof Weyerberg. 1890 wurde die Stichbahn durch eine südlich um die Stadt herumführende Trasse nach Vohwinkel mit Anschluss an die Hauptstrecke Köln-Dortmund verlängert. An der Kölner Straße entstand der Süd-Bahnhof und nördlich der Stadt der Nord-Bahnhof. Östlich des Süd-Bahnhofes zweigte seit 1897 die über die Müngstener Brücke führende Strecke nach Remscheid ab.
Angesichts dieser Entwicklung bemühte sich die Stadt Solingen um den Ausbau des nur als Fachwerk-/ Holzkonstruktion entstandenen Süd-Bahnhofes und finanzierte 1898 die Ausarbeitung eines Bahnhofsprojektes durch Regierungsbaumeister G. Küchler mit dem Vorschlag, die Trasse soweit nach Norden zu verschieben, dass auf Höhe der Kölner Straße eine genügende Tiefe erreicht wird, um die Eisenbahn unter der Straße hindurchführen zu können. Geplant war ein neues Empfangsgebäude, während der alte Süd-Bahnhof nur noch als Güterbahnhof dienen sollte.
Empfangsgebäude um 1910. Quelle: Stadtarchiv Solingen
Erst nachdem in der Öffentlichkeit wiederholt Kritik an den unzweckmäßigen und "provisorischen" Eisenbahnanlagen in Solingen geäußert worden war, wurde das von Küchler erarbeitete Projekt ausgeführt. 1908-1910 entstand das neue Empfangsgebäude mit Zugang zu den Gleisen über eine geschlossene Fußgängerbrücke in Stahlkonstruktion.
stark zerstörtes Empfangsgebäude um 1945. Quelle: Stadtarchiv Solingen
Im Zweiten Weltkrieg erlitt der Hauptbahnhof Solingen erhebliche Schäden. Unter Einbeziehung alter Bauteile wurde bis 1956 eine neue Empfangshalle gebaut. Seitens der Stadt Solingen war man darauf bedacht, ein Bahnhofsviertel mit großstädtischem Gepräge zu erhalten. Das Empfangsgebäude war daher zur Kölner Straße und zur benachbarten Lutherkirche ausgerichtet und wurde mit einem zeitweilig zum Kanon der Bahnhofsarchitektur zählenden Uhrenturm ausgestattet. Der 22 m hohe Turm musste allerdings wegen starker Baumängel schon 1978 wieder abgebrochen werden.
Das Empfangsgebäude der Nachkriegszeit
neuer und erweiterter Bahnhofsgebäudekomplex um 1956. Quelle: Stadtarchiv Solingen
Das Bahnhofsgebäude ist ein dreiteiliger Gebäudekomplex mit Wartesaalgebäude (1910, um 1955), Empfangshalle (1953-1956) und Expressgutabfertigung.
Empfangshalle. Foto: 2010
Vom Wartesaalgebäude ist nach Kriegsschäden und Umbau nur noch wenig von der Ursprungsarchitektur des Jahres 1910 überliefert. Es ist ein dreigeschossiger Putzbau über Sockelgeschoss in Hanglage. Über dem mit Scheinfugen gegliederten Sockelgeschoss erheben sich, über zwei Geschosse reichend schwach profilierte Wandpilaster. Das ursprünglich darüber befindliche Mansarddach wurde im Zuge des Wiederaufbaus in ein rückspringendes Dachgeschoss mit Flachdach umgewandelt. Im Erdgeschoss befinden sich die beiden Wartesäle mit einer Innenraumgestaltung aus den 1950er Jahren. Im Sockelgeschoss war die Küche, in den Obergeschossen waren die Wohnungen für Bahnhofsvorsteher und Bahnhofswirt untergebracht.
eingestellter kleiner Pavillon in der Nordfassade der Empfangshalle. Foto: 2010
Zeichnung der Empfangshalle um 1956. Quelle: Stadtarchiv Solingen
Innenraum der Empfangshalle mit Blick auf die Pavillons in der Nordfassade. Foto: 2010
Die Empfangshalle entstand 1953-1956 als Neubau infolge des fast vollständigen Kriegsverlustes der alten Halle nach Entwurf des Architekten Willmann von der Bundesbahndirektion Wuppertal. Die Hallenkonstruktion besteht aus schlanken Stahlstützen, die ein Flachdach aus Stahlbeton tragen und einer nichttragenden Stahl-/ Glasfassade. Das außen um 1,0 m überkragende Dach verjüngt sich keilförmig. Die durch zwei gerundete Ecken angedeutete Ovalform der Halle wiederholt sich in drei kleinen Pavillons, die mittig in die Nordfassade eingestellt sind. In diesen, sich zum Halleninnenraum hin öffnenden Pavillons befanden sich Kleinläden für Blumen, Zeitschriften und Tabakwaren. Der Westfassade ist ein verglaster Windfang vorgestellt. An der Südseite des Innenraumes sind die Schalter für Fahrkartenausgabe, Auskunft und Gepäck erhalten. Über einen gelenkartig wirkenden Zwischentrakt (ursprünglich mit Uhrenturm) schließt sich die anspruchslos gestaltete Expressgutabfertigung als zwei- bis dreigeschossiger Putzbau in Hanglage an.
Fußgängerbrücke zu den Bahnsteigen. Foto: 2010
Die Fußgängerbrücke zu den beiden Bahnsteigen ist eine genietete Stahlkonstruktion, die über den Bahnsteigen auf einer Subkonstruktion aus genieteten Zweigelenkrahmen ruht. Die überdachte und allseitig geschlossene Brücke besteht aus einer Primärkonstruktion mit genieteten Stahlbindern und Satteldach in Holzkonstruktion. Die Wände sind großzügig verglast mit Metallsprossenfenstern. Die Wandbildung erfolgt in Fortsetzung der Fensterflächen durch genietete Stahlbleche. Zwei ebenfalls überdachte Treppenabgänge führen zu den Bahnsteigen.
Bahnsteig um 1956, historisches Foto. Quelle: Stadtarchiv Solingen
Die Bahnsteigüberdachungen schließen östlich an die Fußgängerbrücke an. Ihre Tragkonstruktion besteht aus genieteten Mittelstützen und zwei rechts und links leicht nach oben ausschwingenden Tragarmen. Über den Stahlpfetten liegen Sparren mit profilierten Balkenköpfen und darüber Holzverschalung als Unterbau der Dachdeckung.
Westlich der Bahnsteige befindet sich ein in seinen Architekturformen unverändertes Stellwerk (1910) mit Walmdach. Das massiv erbaute Erdgeschoss wird durch bruchraues Natursteinmauerwerk für Sockel, Sohlbänke und die segmentbogig en Fensterstürze gegliedert. Das Obergeschoss ist in Holzfachwerk ausgebildet. In der sechsachsigen Fassade sind hier die beiden Mittelachsen risalitartig vorgezogen. Das östliche Stellwerk und der Güterschuppen sind stark verändert und gehören nicht zur denkmalwerten Bausubstanz.
Eintragung in die Denkmalliste
Der Solinger Hauptbahnhof wurde 1991 als denkmalwert eingestuft. Zur Begründung hieß es:
Fußgängerbrücke zu den Bahnsteigen. Foto: 2010
„Ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Neuanlage des Solinger Bahnhofes war nach dem durch Küchler ausgearbeiteten Projekt von 1898 die Vermeidung niveaugleicher Straßenübergänge und der bis dahin unzulängliche Zugang der Reisenden zu den Hauptzügen. Durch geschickte Ausnutzung der Geländeverhältnisse konnte das neue Bahnhofsgebäude so angeordnet werden, dass in direkter, niveaugleicher Verbindung mit der Empfangshalle eine Fußgängerbrücke angeordnet werden konnte. Solche Fußgängerbrücken entstanden als Alternative zu den Gleisunterführungen, um einen gefahrlosen Zugang zu den Bahnsteiggleisen zu ermöglichen. Erst allmählich hatten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts solche Über- und Unterführungen im Bahnhofsbereich als notwendiges Mittel zur höheren Sicherheit der Reisenden durchgesetzt. Noch zur Jahrhundertwende war der Hauptbahnhof Düsseldorf ohne Unterführungen gebaut worden und musste entsprechend nachgerüstet werden. Später waren Unter- oder Überführungen selbst auf kleineren Bahnhöfen selbstverständlicher Standard. Die Fußgängerbrücke über die Gleisanlage in Solingen ist im Rheinland die einzig erhaltene Überführung und besitzt als selten gewordener Bautyp Denkmalwert. Die daran anschließenden Bahnsteigüberdachungen vervollständigen das Bild einer Bahnhofsanlage der Jahrhundertwende im Gleisbereich ebenso wie das in charakteristischen, zeittypischen Bauformen erbaute westliche Stellwerk.
neue Empfangshalle im Stile der 50er Jahre. Foto: 2010
Innenraum der Empfangshalle. Foto: 2010
Das Bahnhofsgebäude kann nicht mehr die Entstehungszeit des Bahnhofes von 1908-10 dokumentieren. Als Ersatz für die kriegszerstörte Empfangshalle entstand jedoch eine neue, qualitätvolle und für die 1950er Jahre aussagekräftige Architektur. Mit den knapp dimensionierten Traggliedern, den schlanken Stahlstützen und dem keilförmig sich verjüngendem Dach, sowie der gleichsam eleganten, entmaterialisierten Fassade, folgt die Halle den konstruktivistischen Tendenzen in der Architektur. Diese Architekturrichtung versuchte seit den 1920er Jahren durch eine zuweilen provokant-überbetonte Darstellung der tragenden "arbeitenden" Bauteile z.B. durch Trennung der primären Tragkonstruktion und der raumabschließenden Bauteile ästhetische Wirkungen zu erzielen. Die Empfangshalle des Solinger Hauptbahnhofes ist ein gutes Beispiel für diese Architekturrichtung. Sie ist zudem funktional-baulich eng verbunden mit der Fußgängerbrücke, die sich niveaugleich anschließt. Weiterhin ist die Halle in vielen Ausstattungsdetails aus der Bauzeit erhalten und liefert damit auch ein Beispiel für die funktionale Ausgestaltung einer Empfangshalle der 1950er Jahre.
Zur denkmalwerten Substanz des Stationsgebäudes gehören weiterhin die Fußgängerbrücke und das Wartesaalgebäude, das in seiner äußeren Architektur noch einen Hinweis auf die Bauzeit der Anlage von 1910 gibt und mit der Innengestaltung der Wartesäle eine gestalterische Einheit mit der Empfangshalle bildet.“
Umbau
Eingangshalle des Empfangsgebäudes. Foto: 2010
umgebauter ehemaligen Güterschuppen. Foto: 2010
Nach einem Ratsbeschluss von 1996 wurde der Hauptbahnhof Solingen durch die beiden neuen Haltestellen „Grünwald“ und „Solingen-Mitte“ ersetzt. Der letzte Zug hielt in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 2006 am alten Hauptbahnhof. Nach Jahren des Verfalls und der Mindernutzung durch ein Flüchtlingsheim wurde der 1993 in die Denkmalliste eingetragene Bahnhof auf der Grundlage eines Gesamtkonzeptes für das ganze Bahnhofsareal umgenutzt. In der Eingangshalle entstand ohne weitere Einbauten ein großer Raum für unterschiedliche Veranstaltungen. Im ehemaligen Wartesaal wurde ein Restaurant eingerichtet. Auch die nichtdenkmalwerten Güterhallen blieben erhalten für Künstlerlofts, ein Galeriecafé und das Plagiarius-Museum zur Anprangerung von Raub-Produkten. Die 11,5 km lange anschließende Trasse der Korkenzieherbahn wurde als Rad- und Wanderweg ein Höhepunkt der Regionale 2006, aus deren Mitteln die Umgestaltung des Bahnhofsgeländes finanziert wurde.
Literatur
• Battenfeld, Beate: Der Solinger Hauptbahnhof – Unendliche Geschichte?, in: POLIS. Zeitschrift für Architektur, Stadtplanung und Denkmalpflege, 2. Quartal,1993
• Berg, Adolf von: Die Thalbrücke bei Müngsten und die Strecke Remscheid-Solingen. 100 Jahre Müngstener Brücke, Remscheid 1997
• Firouzkhah, Sabine: Wie er wurde, was er ist: der Solinger Hauptbahnhof im Wandel der Zeiten, in: Die Heimat Heft 22 2006/07, S. 24-35
• Kaiß, Kurt: Die Korkenzieherbahn. Auf Nebengleisen von Solingen nach Vohwinkel, Leichlingen 1998
• Kaiß, Kurt: Der Brückenschlag bei Müngsten. 100 Jahre Eisenbahn Solingen-Remscheid, Leverkusen 1997