Thyssen | Alte Hauptverwaltung
Duisburg, Franz-Lenze-Straße 3
Walter Buschmann
KruppThyssen Werk Bruckhausen | Alte Hauptverwaltung


Der aus Eschweiler stammende August Thyssen(1842-1926) legte mit dem 1871 gegründeten Bandeisenwalzwerk in Mülheim/Ruhr die Grundlage zu einem der größten deutschen Montankonzerne. Mittelpunkt und einer der Ursprünge der zahlreichen Werke im In- und Ausland war die Gewerkschaft Deutscher Kaiser in Hamborn aus der die seit 1919 so genannte August-Thyssen-Hütte(ATH) hervorging.

August Thyssen war seit 1883 im Vorstand der 1871 mit Schacht 1 in Förderung gegangenen Zeche Deutscher Kaiser. Nach Ankauf aller Anteile, war August Thyssen bis 1891 alleiniger Eigentümer der Zeche geworden.

Unter seiner Führung war in Bruckhausen 1888-1895 Schacht 3 abgeteuft worden und in allernächster Nachbarschaft 1889-94 ein Stahl- und Walzwerk entstanden. Dies waren die Anfänge zu einem der ganz großen integrierten Hüttenwerke des Ruhrgebiets mit Roheisen- und Stahlproduktion und zu einer Hüttenzeche mit Steinkohlenförderung und Kokserzeugung direkt am Standort des Eisen- und Stahlwerks. Innerhalb von zwei Monaten erwarb Thyssen 1889 zur Verwirklichung seiner ehrgeizigen Pläne große Flächen und wurde Eigentümer fast der ganzen Bauernschaft Bruckhausen.

In den Jahren zwischen 1895 und 1914 entstand eines der großen Hüttenwerke des Ruhrgebiets mit Siemens-Martin und Thomasstahlwerk, sechs Hochöfen, einer Kokerei mit 324 Öfen und einer direkten Seilbahnverbindung von der Kokerei auf die Gichtbühne der Hochöfen. Die Erze aus Lothringen, der Normandie, Schweden und dem Lahn-Dill Gebiet kamen über eine Anschlussbahn von den Rheinhäfen Alsum, Walsum und Schwelgern. 1913 arbeiteten 10.524 Mann im Werk Bruckhausen. Die Gewerkschaft Deutscher Kaiser zählte zu den größten und modernsten Hütten der damaligen Zeit in Europa.



Die ehemalige Hauptverwaltung der Gewerkschaft Deutscher Kaiser


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Das Gebäude der Alten Hauptverwaltung
Architektonisches Wahrzeichen dieser Aufbauphase wurde die von Carl Bern entworfene, 1903-04 als „Centralbuereau“ erbaute Hauptverwaltung der Gewerkschaft Deutscher Kaiser. Entstanden als Dreiflügelanlage, wurde der rückwärtige Nordflügel 1909 hinzugefügt. Das Verwaltungsgebäude war nun ein allseitig geschlossener Vierflügelbau. Der 1916 geplante Bau zusätzlicher Büroflügel um zwei weitere Innenhöfe kam kriegsbedingt nicht nur Ausführung. Nur der östliche Flügelanbau wurde nach dem Krieg 1923 annähernd verwirklicht. Architekt der Erweiterungen war ebenfalls Carl Bern. Anfang der 1960er Jahre wurden bei Änderungen in den Fassaden die reiche Gestaltung der Dachzone mit fialengeschmückten Nebengiebeln und der Giebelschmuck der beiden Westgiebel aufgegeben. Nur der Treppengiebel über dem Mittelrisalit der Hauptfront blieb – allerdings in reduzierter Form – erhalten.

Der dreigeschossige Backsteinbau mit hoher, bis zur Kämpferzone der Erdgeschoßfenster reichenden Sockelzone in Naturstein ist in der Hauptansicht symmetrisch mit dreiachsigem, übergiebeltem Mittelrisalit ausgebildet. Der von einer gestuften Dreipassarchivolte mit Mosaik im Tympanon und im benachbarten Rundmedaillons überfangene Haupteingang mit schwerer, doppelflügliger Holztür wird über eine schlichte Freitreppe erschlossen. Die darüber liegenden hohen Fenster(Gewerkensaal) sind in eine Blendnischenarchitektur in Formen der norddeutschen Backsteingotik eingebunden. Im einem halbkreisförmigen Mosaikfeld unter der Giebelspitze befindet sich die Darstellung eines Merkurkopfes.

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Blick in den Hof
In den an den Risalit anschließenden Seitentrakten des Hauptbaus, wie auch bei dem zur Kaiser-Wilhelm-Straße gelegenen Flügel wird das Erdgeschoß belichtet durch große, in gedrückten Spitzbögen auslaufenden, vierteiligen Fenstern, die sich mit schmaleren Spitzbogenfenstern abwechseln. Diese Schaufassaden waren ursprünglich durch insgesamt sechs zweiachsige Nebengiebel bekrönt(Ende 1960er Jahre entfernt). Erhalten sind aus der Architektur der Nebengiebel die zu diesen Giebeln gehörenden Wandvorlagen, die sich ursprünglich über die Traufen hinaus als giebelbegleitende Fialen fortsetzten. Der Westgiebel des Hauptflügels ist aufgelockert durch einen Treppenturm mit Eingangsloggia. Der 1909 errichtete Nordflügel tritt zur Kaiser-Wilhelm-Straße mit einem dreiachsigen, analog zum Mittelrisalit der Hauptfront gestalteten Giebel in Erscheinung. In den rundbogigen Blendnischen des Dreiecksfeldes dieses Giebels finden sich Mosaikdarstellungen mit Segelschiff, Wappen, Schlägel und Eisen und großflächigen Pflanzenmotiven des Jugendstils.

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Blick auf die Haupttreppe
Im Inneren ist die Gestaltung der Eingangshalle mit massiver Haupttreppe sowie ornamental, figürlich mit Tierdarstellungen und floral verzierten, schmiedeisernen Brüstungsgittern erhalten. Wie in der Eingangshalle befinden sich auch in anderen Flurbereichen noch die Fußboden- und Wandfliesen aus der Bauzeit. Der hohe Gewerkensaal mit offenem Dachstuhl lehnt sich mit seiner Holzausstattung und einem großen Kamin an Formen der deutschen Renaissance an.

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Blick in den Gewerkensaal
Der Gewerkensaal im Zentrum des Gebäudes diente für Direktionsbesprechungen, Gewerkenversammlungen und zum Empfang offizieller Besucher. Auf dem gleichen Flur waren nach der Baubeschreibung von 1902 vier Direktorenzimmer und eine Bibliothek vorgesehen. Im Erdgeschoß lagen im Hauptbau und in den Flügeln mehrere Großbüros mit bis zu 10 Schreibtischen. Im Keller und Dachgeschoß war die Registratur untergebracht. Zusätzlich zur Haupttreppe sind nach wie vor an den Endpunkten des Haupttraktes Nebentreppenhäuser erhalten.


Bedeutung

Von einem der größten und wichtigsten Hüttenanlagen des Ruhrgebiets, der als Gewerkschaft Deutscher Kaiser gegründeten August-Thyssen-Hütte sind aus der Gründungsphase keine denkmalwerten Anlagen und Bauten überliefert. Das Verwaltungsgebäude von Carl Bern dokumentiert eine Hochphase in der Entwicklung der August-Thyssen-Hütte und verdeutlicht zugleich auch noch die bis zum Bau des Hochofens 6 im Jahr 1910 dauernde Aufbauzeit der Hütte. Mit diesen 6 Hochöfen gehörte das Hüttenwerk in Bruckhausen zu den größten und leistungsstärksten des Reviers und war zugleich eine der modernsten Hütten Europas. Das Verwaltungsgebäude verkörpert insofern die Industriegeschichte Duisburgs und darüber hinaus auch des montanindustriell geprägten Ruhrgebiets. Waren die Hochöfen und Stahlwerke Wahrzeichen des technischen Fortschritts, verdeutlichte das Verwaltungsgebäude die repräsentativen Vorstellungen des Unternehmens und speziell auch der dominanten Persönlichkeit in diesem ganz auf August Thyssen zugeschnittenen Konzern.

Obwohl in engem, räumlich-städtebaulichen Zusammenhang mit den Werksanlagen errichtet, wurde das Verwaltungsgebäude dennoch vom Werk durch die Kaiser-Wilhelm-Straße getrennt und orientiert sich mit seiner Hauptseite zu einer rechtwinklig darauf ausgerichtete Nebenstraße, der heutigen Franz-Lenze-Straße. Die alte Hauptverwaltung bildete mit dem südlich gegenüberliegenden Casino und dem jenseits der Kaiser-Wilhelm-Straße als Auftakt zum Werksgelände gelegenen Portier 1 eine eigene Bautengruppe vielfältig in Formen des Historismus gestalteter Repräsentativbauten. Diese Bautengruppe war zugleich der nördliche Abschluss(oder Auftakt) des schnell heranwachsenden, und immer stärker ab 1900 im Landschaftsbild wirksamen Ortes Bruckhausen(1912=ca. 17.000EW). Obwohl gleicherweise vom Werk und Ort getrennt, war der städtebauliche Bezug bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dennoch wirksam, ähnlich der in räumlicher Distanz zu den Ortschaften errichteten Kloster- und Burg/Schlossanlagen früherer Jahrhunderte. Sehr viel enger ans Werk gerückt wurde die alter Hauptverwaltung durch die in unmittelbarer Nachbarschaft errichteten Stahlwerke der Nachkriegszeit(1955/1968) und der Neuen Hauptverwaltung(1968-72). Besonders die Neue Hauptverwaltung hat die relative Abgeschiedenheit des Alten Verwaltungsgebäudes noch einmal betont. Die Alte Hauptverwaltung ist aus diesen Zusammenhängen heraus auch städtebaulich und stadtbaugeschichtlich bedeutend für Struktur und Erscheinungsbild montangeschichtlich geprägter Orte.

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Das Äußere
Trotz aller Reduktionen im äußeren Erscheinungsbild ist die Hauptverwaltung der Gewerkschaft Deutscher Kaiser auch ein für die Baugeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wichtiges Dokument. Das Gebäude ist einzuordnen in die besonders von Conrad Wilhelm Hase und der von ihm begründeten Hannoverschen Schule entwickelten Neugotik. Mittelalterliche Sakral- aber auch herausragende Profanbauten wie besonders die Rathäuser galten dieser Zeitalter des Historismus als Vorbild für Baugattungen jeglicher Herkunft. Die Gotik als Inbegriff konstruktiven Denkens und dem Gedanken einer Entwicklung der Architektur aus dem Inneren heraus sollte sich als Universalbaustil auch für die Bauaufgaben des Industriezeitalters bewähren. Dabei war der Siegeszug des zur norddeutschen Gotik gehörenden Backsteinbaus auch in praktischen Hinsicht begründet, weil die Bauweise als besonders widerstandsfähig gegen die aggressive Luft des Industriereviers galt. Die Alte Hauptverwaltung der Gewerkschaft Deutscher Kaiser ist insofern Teil einer verbreiteten Tendenz in der Architekturgeschichte des Ruhrgebiets, dessen herausragende Resultate die von Paul Knobbe entworfenen Bauten der Zeche Zollern 2/4, der Umbau von Schloß Hoerde für den Verwaltungssitz der Hermannshütte oder auch andre Zechenbauten waren. Die Gotik bot dem Industriebürgertum eine Indentifikationsmöglichkeit mit dem hoch stehenden Selbstbewusstsein der Hansestädte und einer der erfolgreichsten Entwicklungsperioden bürgerlicher Gesellschaft im 12. und 13. Jahrhundert.


Literatur

• Schlüter, Brigitte: Verwaltungsbauten der rheinisch-westfälischen Stahlindustrie 1900-1930, Bonn Diss. 1991
• Treue, Wilhelm/ Uebbing, Helmut: Die Feuer verlöschen nie - August-Thyssen-Hütte, 2 Bde, Düsseldorf/Wien 1969
• Uebbing, Helmut: 100 Jahre Thyssen, Berlin 1991